superinteressanter und lehrreicher Fall aus Coliquio (c) Copyright der Übersetzung liegt natürlich bei Coliquio und Christoph Renninger, veröffentlicht am 31. Jänner 2021.
Coliquio ist das für mich interessanteste Ärzteportal, immer mit Interessanten Hinweisen und Antworten von Kollegen
Dieser Beitrag basiert auf einer Kasuistik im Journal BMJ Case Reports.1 Redaktion: Christoph Renninger
Folgenschweres Jagdglück?
Der 40-Jährige ist alleine im Wald auf der Jagd, als er einen ausgewachsenen männlichen Hirsch erspäht. Mit einem gezielten Schuss erlegt er das Tier und nimmt es mit nach Hause, um es dort weiterzuverarbeiten. Obwohl der Geweihträger in freier Wildbahn gesund erschien, fallen dem Mann beim Säubern und Ausweiden flüssigkeitabsondernde Abszesse in den Atemwegen auf.
Beim Entfernen der Organe trägt der Hobbyjäger weder Handschuhe noch andere Schutzausrüstung. Nachdem er den Kadaver ausgenommen hat, zündet er sich eine Zigarette an. In den nächsten Tagen treten bei ihm Übelkeit, Kurzatmigkeit und Palpitationen auf. Auf der linken Seite seines Mund-Rachen-Raums entstehen Exsudate, aus denen sich ein Biofilm über der Zunge und den oberen Atemwege bildet. Im weiteren Verlauf leidet der Krankenpfleger unter Fatigue, durchgehenden Kopfschmerzen, Muskelsteifigkeit, Verstopfung und Fieber. Außerdem tritt ein produktiver Husten mit orangefarbenem Sputum auf.
Während einer Arbeitsschicht bestimmt er seine Sauerstoffsättigung, welche bei 89% liegt (2200 m über Meeresspiegel). In kurzer Zeit nimmt er 6,4 kg zu und wiegt nun 107,5 kg.
Zuvor kaum medizinische Auffälligkeiten
Der Mann sucht eine Woche nach der Jagd seinen Hausarzt auf, da sich die Übelkeit, Kurzatmigkeit und Fatigue weiter verschlimmern. In seiner Krankenakte finden sich eine Hypertonie, welche durch Ernährung und körperliche Aktivität gut kontrolliert ist, und Arachnoidalzysten, weshalb er täglich Ibuprofen einnimmt.
Es ist weder ein metabolisches Syndrom noch ein Diabetes mellitus bekannt. Der Patient hat alle empfohlenen Impfungen erhalten. Er raucht Zigaretten und trinkt am Wochenende 2 bis 3 Bier.
Bei der Untersuchung werden folgende Befunde erhoben:
- Körpertemperatur: 37°C
- Blutdruck: 130/62 mHg
- Puls: 71/Min
- Gewicht: 107,5 kg
- klarer Nasenausfluss, leichte Verstopfung der Nasennebenhöhlen
- Rachenraum überdeckt mit Exsudaten
- oropharyngeales Erythem
- leichte zervikale Lymphknotenschwellung (bilateral)
- Auskultation: Rhonchus in der Lungenbasis (bilateral)
Die Laborwerte sind unauffällig und liegen im Normbereich, ausgenommen der Leukozytenzahl mit 10,4 × 10^9^/l. In der Röntgenaufnahme des Thorax ist die Herzsilhouette nicht pathologisch, in der Lunge sind keine akuten Infiltrate oder Ergüsse zu sehen. Die Bronchialwände sind verdickt, entsprechend einer Bronchitis.
Suche nach dem richtigen Experten
Zunächst wendet sich der Hobbyjäger an die Wildtierbehörde des Bundesstaats. Diese ist jedoch mit einem Ausbruch der Chronic Wasting Disease (CWD) bei mehreren Hirschpopulationen in anderen Gebieten beschäftigt und antwortet nicht. Da der Mann weiter den Verdacht einer vertikalen Transmission hat, wendet er sich an die Bundesbehörde – jedoch auch erfolglos.
Schließlich spricht der Krankenpfleger mit einem Wildtierbiologen. Dieser hat zunächst den Verdacht einer zoonotischen Tuberkulose, da erst kurz zuvor ein solcher Fallbericht veröffentlicht worden ist.2 Allerdings sprechen das normale Verhalten des Tieres und die Art des Abszesses (flüssigkeitabsondernd, nicht schwammartig) gegen eine Infektion mit Mykobakterien.
Anhand der Beschreibung des Hirsches durch den Patienten stellt der Experte die Diagnose einer Infektion mit Trueperella pyogenes. Keine weiteren Haushaltsmitglieder sind infiziert, da nur der Patient mit dem Hirsch in Kontakt gewesen ist. Zudem hat er ohne seine Hände zu waschen nach dem Ausweiden eine Zigarette geraucht und den Erreger inhaliert.
Resistenzen machen Therapie schwierig
Der Hausarzt beginnt nach diesen Informationen eine Therapie mit einer intramuskulären Injektion von Ceftriaxon (1 g) und einer oralen Behandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure (875/125 mg), 2 x täglich für 10 Tage. Außerdem verordnet er einen Albuterol-Inhalator gegen die Kurzatmigkeit.
Die Antibiotika-Therapie verläuft jedoch erfolglos. Da sich die Beschwerden des Patienten weiter verschlechtern, wird er an die Infektiologie eines größeren Klinikums verwiesen. Ein Termin ist dort jedoch erst 2 Wochen später möglich.
Der Patient informiert sich im Internet auf veterinärmedizinischen Seiten und stößt dabei auf Cefoperazon, einem Cephalosporin-Antibiotikum der dritten Generation, als mögliches Therapeutikum bei Infektionen mit T. pyogenes. Durch Kontakte zu Bauern in der Region kann er das orale Medikament auftreiben.
Nach zweitägiger Einnahme von 250 mg, 3 x täglich, verschwinden das Erythem und die oropharyngealen Exsudate vollständig. Er ruft seinen Hausarzt an und berichtet, dass sich am dritten Tag der Cefoperazon-Therapie sein Zustand enorm gebessert habe und er wieder zur Arbeit gehen könne. Auch habe er wieder sein Ausgangsgewicht erreicht (-6,4 kg).
Wenige Daten zu Infektionen beim Menschen
Trueperella pyogenes, vormals als Arcanobacterium, Actinomyces und Corynebacterium pyogenes klassifiziert, ist ein opportunistischer Erreger mit vielen Wirten im Tierreich. Es gibt mehrere Berichte über zoonotische Infektionen, die zu Pneumonie oder Abszessen führten. Primär sind Personen mit einem geschwächten Immunsystem betroffen. Zum Vorkommen und Virulenz beim Menschen liegen nur wenige Informationen vor.
In diesem Fall wurde die Diagnose anhand der klinischen Symptome und der Umstände getroffen. Eine Kultivierung des Erregers aus dem Rachenabstrich des Patienten wurde zwar angeordnet, aufgrund eines Fehlers im Labor jedoch nicht durchgeführt.
- Meili Z. Trueperella pyogenes pharyngitis in an immunocompetent 40-year-old man. BMJ Case Reports 2020; 13: e236129
- Sunstrum J et al. Notes from the Field: Zoonotic Mycobacterium bovis Disease in Deer Hunters – Michigan, 2002-2017. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2019; 68: 807–808.
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