Sankaran Trilogie in der AHZ
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Sankaran Trilogie in der AHZ

 

Artikel von Heli O. Retzek - Sankaran Trilogie in der AHZ

 

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Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica  -  eine Einführung

Teil I        H. Retzek

 


publiziert: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 1; AHZ; 239; 3/94; 100

 

In der folgenden Artikelserie wird versucht, ein kürzlich entwickeltes theoretisch-philosophisches Konzept des Krankheits & Arzneimittelverständnisses, die Situational Materia Medica (SMM), wie sie von Rajan Sankaran formuliert wurde, transparent zu machen.

Die Grundlagen der SMM werden auf Konsistenz zu Aussagen Hahnemanns als auch zu aktuellem faktisch-medizinischen Wissens überprüft. Die zentrale Störung wird definiert, die Dynamik von Krankheit und Behandlung zusammenfassend formuliert (Teil 1 & 2). Es wird eine theoretische und praktische Annäherung an das primär nicht 'meßbare' Symptom des Gemütszustandes dargelegt, sowie eine Methodik präsentiert, vom eigentlichen Wissen einer Arznei (den Rubriken) auf deren Gemütszustand zu schließen (Teil 3). Schließlich wird der eigentliche Kernpunkt der SMM, der intrapsychischen Vorgang der Wahrnehmungsverfremdung (Delusion) als Ausdruck der eigentlichen Erkrankung, dargestellt (Teil 4). Abschließend soll eine Zusammenfassung mit Beispielen den sehr weitgespannten Bogen dieses Konzeptes umspannen als auch offene Fragen ansprechen.

 


 

In the following series of articles I will try to provide some insights into the Situational Materia Medica (SMM), a theoretical-philosophical concept of understanding disease & remedies, as was developed recently by Rajan Sankaran.

The basis of the SMM are examined for consistancy to Hahnemanns findings as well as factual medical knowledge (Part 1 & 2). Then a theoretical and practical method to approach the primarily 'unmeasurable' state of disposition is presented as well as a method to deduce from the hard facts of a remedy – the rubrics – its underlaying state of disposition (Part 3). Finally the core of the SMM, disease as an altered state of perception (delusion), is presented (Part 4). In the last part a comprehension will review the entire concept as well as point to some open questions.

 


Schlüsselwörter

Situational Materia Medica, Sankaran, Delusion, NLP, Gemütszustand, Geistes- Gemütssymptome, Dynamik, zentrale Störung


Keywords

Situational Materia Medica, Sankaran, delusion, NLP, state of disposition, mind symptoms, dynamics, central disturbance

 


 

Oft wird auf die sich aus Dr. Sankarans Arbeit ergebenden Erkenntnisse Bezug genommen, ohne dessen Theorien explizit zu zitieren.  Da viele Dr. Sankaran noch nicht persönlich erlebt haben und dessen Hauptwerk ( 16 ) sowie Journal-Publikationen nur in Englisch vorliegen, soll in dieser Artikelserie versucht werden, einen Überblick über Dr. Sankarans Theorien zu geben [1] .

Im ersten Teil wird gezeigt, welche Charakteristika des Patienten ein direkter Hinweis auf seine Erkrankung darstellen und wieso sie ein Schlüsselrolle bei der Mittelfindung einnehmen sollten.

Der Beginn

Eine retrospektive Untersuchung vieler Fälle von Patienten, die von den Doktoren Jayesh Shah und Rajan Shankaran behandelt wurden, ergab, daß Verschreibungen auf der Basis von Geistes/Gemüts- (GG) und Allgemein-Symptomen wesentlich erfolgreicher verlaufen waren als jene, bei denen man sich vor allem auf lokale Symptome oder die Pathologie gestützt hatte ( 16 , S.4) [2] .

Aus rein pragmatischen Gründen und ohne die eigentlichen Hintergründe zu verstehen, wurde nun von beiden Homöopathen dieser Gesichtspunkt verstärkt im Auge behalten, ab und an vorsichtig “ausprobiert”, sich jedoch stets vergewissernd, daß das nach Gemüts/Allgemein-Symptomen ausgewählte Mittel immer auch das lokale Problem beinhaltete.

Erst ein schwieriger Fall von Vitiligo universalis, bei dem es keine Lokalsymptome gab und bei welchem das aufgrund von Gemüts- und Allgemein-Symptomen gewählte Mittel (Kalium jodatum) ausgezeichnet heilte obwohl es weder der Pathologie noch dem Organbezug entsprach, ließ Fragen aufkommen, aus deren Beantwortung sich schließlich ein logisches Gedankengebäude entwickelte, 'das alle bis jetzt aufgekommenen “Schulen” zu beinhalten scheint und dessen Essenz schließlich zur Situational Materia Medica führte'.

Zwei Fakten

1. Über die C12 hinaus beinhalten homöopathische Mittel keine Moleküle des Arzneistoffes mehr, welche einen “materiellen Effekt” ausüben könnten.  Wenn überhaupt, dann kann daher nurmehr irgend eine Art von “Energie” (“Information” ?), die einen dynamischen Effekt ausübt, durch die Arznei auf den Patienten übertragen werden: 

Potenzen können nur dynamisch wirken  (1, S.5).

Es folgt die Frage:  was ist eine “dynamische” Störung, die mit einem dynamisch wirkendem Medikament behandelt werden kann ?

 

2. Bei der Mehrzahl der durch die Drs. Shah und Sankaran erfolgreich behandelten Fälle waren die Arzneien vorzugsweise auf der Basis der Gemüts/Allgemein-Symptome ausgewählt worden. 

Durch eine Arznei geheilte Fälle hatten also ähnliche Gemüts- und Allgemein-Symptome; aber die lokalen Symptome waren unterschiedlich, bzw nicht übereinstimmend.

Zur Grundlage der Arznei-Wirkung

Wie bewirkt eine beliebige “materielle” Arznei Symptome, besonders lokale Symptome ?  Diese Frage sollte, Dr. Sankarans Buch beiseite legend, kurz überlegt werden:

Entweder wirkt das Medikament

I.      direkt zellschädigend (lokal am Applikationsort, systemisch in der Niere nach tubulärer Konzentration, der Leber nach Aktivierung durch das Cytochrom-System, usw., d.h. durch Interaktion mit einem organspezifischen Enzym- bzw Transport-System),

 

II.   Veränderung der Stellglieder in den 3 großen Effektorsystemen:

1.      dem autonomen Nervensystem (N): Regulation lokaler Durchblutung, Schwitzen, Peristaltik, Herz-Kreislauf, Schlaf, vitale Reflexe usw.

2.      dem endokrinen System (E): Wachstum, Knochenstruktur, Zell-Metabolismus, Verdauung, Herz-Kreislauf usw.

3.      dem immunologischen System (I): Infektionsabwehr, allergische Reaktion, Autoimmunerkrankung usw.

 

und schädigen dadurch indirekt lokale Strukturen (z.B. durch ständige vegetative oder hormonelle Stimulation, lokaler Ischämie, Infektneigung und allergische Reaktion usw.).

 

Die Psychosomatik und die Psycho-Neuro-Immuno-Endokrinologie ( 14 , S.155 ff.) erforschen den Einfluß der Psyche (P) auf das Soma. Dabei konnte man bestätigen, daß die Psyche mittels der drei Effektorsysteme “N-E-I” (NEI) auf den Körper einwirkt.

Auch einige der körperorientierten psychotherapeutischen Schulen, am bekanntesten Willhelm Reich ( 13 , Orgonotherapie), Alexander Lowen ( 11 , Bioenergetik) und Gerda Boyesen [3] ( 6 , Biodynamik), haben ihren therapeutischen Systemen zugrundeliegende theoretische Konzepte, die eine Somatisierung von “Spannungen” oder “Störungen” über das NEI-System zeigen. Spannungs-Lösung verläuft rückläufig durch Freisetzung der “Lebensenergie”, “Bioenergie” oder “Orgons” aus bzw. mittels des NEI-Systems.

 

Da mit unseren dynamischen Arzneien keine direkte Wirkung (Typ I) möglich ist, kann nur der Effektorweg NEI beschritten werden, um Einfluß auf den Organismus zu nehmen. Wie noch zu zeigen ist, wird durch die homöopathische Arznei aber auch das hierarchisch übergeordnete, “immaterielle”, durch “dynamische Interaktionen” von Neuronen existierende System der Psyche beeinflußt.

 

Zurück zu Dr. Sankarans Aussagen zur Wirkungsweise “dynamischer” Arzneimittel auf einen “materiellen” Organismus ( 16 , S. 37):

         Er macht vier Organ-Systeme für diese Wechselwirkung verantwortlich: (P)syche, autonomes (N)ervensystem, (E)ndokrines System, (I)mmunologisches System, kurz “PNEI-Achse”.

         Eine Störung in der PNEI-Achse verursacht schließlich eine Störung im gesamten Organismus.

     “Dynamische” Arzeien müssen über diese Systeme wirken, da sie ja - “immateriell” - nicht direkt schädigend auf ein Organ einwirken können.

         Daraus ergibt sich, daß bei Arzneimittelprüfungen zuerst Symptome dieser Achse auftreten.

         Jede Person bringt eine bestimmte Organminderwertigkeit oder Krankheitstendenz mit, die sich erst bei Dysfunktion der PNEI-Achse manifestieren kann.

         Symptome (Dysregulationen) der PNEI-Achse nennt Dr. Sankaran “zentrale Störung”. Daraus resultierende Erkrankungen sind nicht nur von der Art der Störung abhängig, sondern auch von angeborenen oder erworbenen Tendenzen und variieren von Individuum zu Individuum.

 

Auch wenn die “Bryonia-Störung” eine starke Affinität zur Pleura aufweist, kann bei entsprechender Veranlagung des Patienten eine Bryonia-Thyreoiditis auftreten. Immer wird jedoch die Bryonia-Charakteristik “Verschlimmerung durch leichteste Bewegung” vorhanden sein (der Patient wird aus Schmerz nicht Schlucken können).

Dysfunktionen der PNEI-Achse

Rückschlüsse auf die Art der Dysfunktion können am leichtesten über Indikatoren der PNEI-Achse gewonnen werden wie z.B. (in Klammer das dysfunktionelle System):

      Modalitäten (Reaktion auf Hitze, Kälte, Lärm, Bewegung ...) (N),

      Appetit und Durst-Verhalten (NE),

      Verlangen und Abneigungen (PNE),

      Schlaf und Träume (PN),

      Schweiß-Verhalten (N),

      Sexual-Verhalten und Menstruations-Charakteristika (E, PN),

        Infektionsneigung, Allergiebereitschaft (I).

      usw [4]

Auch eigentümliche (§153) Symptome sind meist direkte Hinweise auf PNEI-Störungen und fast immer finden sich Eigenheiten lokaler Erkrankungen in Übereinstimmung mit der zentralen Störung (einer Dysfunktion der PNEI-Achse). 

Zur Strategie der Mittelfindung

Um das Wesen einer zentralen Störung erfassen zu können, muß man daher vor allem deren Indikatoren, das sind Geistes/Gemüts-Symptome (GG-Symptome), die Allgemeinen-Symptome und die Charakteristischen Symptome, im Repertorium aufsuchen.

Erst dann und eher aus “Neugier”, werden wir nachschlagen, ob das gewählte Mittel auch die Lokal-Erkrankung beinhaltet ( 16 , S. 38).  Ausgenommen sind jene Mittel, bei denen zuwenig über die PNEI-Symptome bekannt ist und nur einige charakteristische Lokalsymptome bekannt sind.

Zur Mittelwirkung bei einer Arzneimittelprüfung

Während einer Prüfung produziert ein Mittel eine Vielzahl von Symptomen, Wahrnehmungen und Modalitäten im ganzen Körper, oft sehr deutlich und innerhalb von Minuten bis Tagen.  Sobald Symptome vorhanden sind, wird die Mittelgabe gestoppt. Daher können diese Symptome keine Pathologie repräsentieren, sondern nur die funktionelle Störung. Die Dyspnoe von Carbo-veg. in der Prüfung wird nicht durch linksventrikuläre Insuffizienz hervorgerufen, das Gefühl der Konstriktion von Cactus beruht nicht auf einer, für die Dauer der AMP verbleibenden, schnell auftauchenden, reversiblen ischämischen Kardiopathie; gleicherweise war wohl kaum ein Uterus-Prolaps innerhalb weniger Tage während der Sepia-Prüfung zu vermelden, sondern all diese Wahrnehmungen beruhen auf einer reinen nervösen Sensation und repräsentieren die funktionelle (zentrale) Störung.

Da homöopathische Mittel nur dynamisch wirken, müssen während einer Arzneimittelprüfung neben den lokalen Symptomen vor allem und zuerst auch Symptome des Effektors (PNEI) auftreten. Diese zentrale Störung ist unabhängig von individuellen Organ-Empfindlichkeiten der Prüfer und tritt daher bei jedem für das Mittel empfindlichen Prüfer in gleicher Weise auf (eine Natr.-mur. Störung muß immer eine Natr.-mur. Störung sein, auch wenn sie lokal wie eine Ign. Störung erscheint).

Das heißt, daß Indikatoren der PNEI-Achse bei einer Arzneimittelprüfung bei allen Prüfern gleichsinnig verändert werden [5] . Eine zwingende Folge dieses Gedankens ist die Feststellung, daß jenen Rubriken, die die zentrale Störung eines Mittels repräsentieren, relativ vollständig sind und auch bei weiterer Prüfung der Arznei kaum erweitert würden..

Die Organ-Affinitäten

Die sogenannten Organ-Affinitäten von Mittel haben nichts mit ihrer dynamischen Wirkung zu tun sondern sind Reminiszenzen ihrer toxikologischen Eigenschaften ( 16 , S. 39). So hat beispielsweise die Lokalirritation durch Cantharis viele Autoren dazu angeleitet, den Urethraltrakt als Einflußsphäre des Mittels anzugeben.

Potenziertes Cantharis enthält aber viel zu wenig Arzneisubstanz, um dort irritierend wirken zu können. Ein Effekt kann daher nur durch eine zentrale Störung des Geistes (P), somatisiert durch die drei Effektorsysteme (NEI) auftreten. Denn durch die Verdünnung (Potenzierung [6] ) verlieren Arzneien ihre toxikologischen und lokalen Eigenschaften und entwickeln statt dessen allgemein-dynamisch-funktionelle Wirkungen.

Ein Mittel, das den Gemütszustand und die Allgemein-Symptome abdeckt, nicht aber die Lokalsymptome, hat eine wesentlich größere Wahrscheinlichkeit zu heilen, als eines, das nur die Lokalsymptome beinhaltet und nicht die Geistes- und Allgemein-Symptome ( 16 , S. 48). Ein empirisch oft bestätigter Grundsatz der Homöopathie.

'Potenzierte Arzneien haben keine physiologische Wirkung'

Homöopathische Arzneien sind potenziert und haben, - da sie keine Moleküle enthalten - keine physiologische Wirkung. So zeigt Digitalis in pharmakologischer Dosierung die bekannte Herz-Wirkung, nicht aber als Homöopathikum. Dynamisiert bewirkt es ZUERST ein zentrale Störung und anschließend - wenn eine Neigung zur Herzkrankheit besteht - wird es das Herz affizieren. Ist die Leber geschwächt wird diese erkranken, ist die Organschwäche auf der Prostata, wird diese gestört ( 16 , S. 37). 

J.T. Kent schrieb: Digitalis sei eines der besten Prostata-Mittel ( 9 ), jemand anderer, es sei ein gutes Mittel für Leber-Erkrankungen und Ikterus, ein dritter wieder, “Schwindel bei Hunger ist Digitalis” !

Zitat Sankaran ( 16 , S. 47): “[potenziertes] Digitalis ist aber weder Schwindel, noch Herzkrankheit noch Leber, noch Lunge oder Milz.

Digitalis, an Prüfern verabreicht, ist eine dynamische Störung.”

Würde ein Mittel weitergeprüft werden, erhielten wir noch viele, viele Lokal-Symptome aber nur mehr wenige zusätzliche PNEI-Symptome ( 16 , S. 48).

Hätten wir die Möglichkeit ein Mittel an sehr vielen Prüfern zu testen, wäre jedes Mittel in jeder Lokal-Rubrik zu finden [7] .

Kalium jodatum wurde nicht an Personen mit vorhandener Vitiligo-Tendenz geprüft, daher ist es nicht als Mittel dafür registriert.  Aber als es aufgrund von Geistes- und Allgemein-Symptomen eingesetzt wurde, heilte es.

Wenn ein Mittel einen klaren Gemüts- und Allgemein-Zustand (in Prüfern) bewirkt, kann man annehmen, daß es, wenn es an dafür prädisponierten Personen weitergeprüft würde, auch eine entsprechende Lokal-Erkrankung hervorgerufen hätte [8] .

'Kent legte großen Wert auf die Nicht-Pathognomonischen Symptome' ( 10 ), ( 16 , S. 49). Symptome, die nicht zur Pathologie gehören, müssen die zentrale Störung repräsentieren.

Boger lehrte, daß alle charakteristischen lokalen (“ungewöhnlichen”) Symptome zu verallgemeinern sind ( 5 , 15 ). Damit werden sie von der lokalen Erkrankung abgehoben und repräsentieren Allgemein-Symptome, also die zentrale Störung [9] . Auch Boenninghausen´s Concommitantes zur lokalen Pathologie ( 1 , 3 ) sind als direkte Hinweise auf die vorhandene zentrale Störung zu verstehen ( 16 , S. 49).

 

'Lokale Eigenheiten repräsentieren die zentrale Störung und können daher verallgemeinert werden (Boger [10] ), und da die zentrale Störung im gesamten Organismus wirksam ist, finden wir ihre Auswirkungen gleichzeitig (concomitantly [11] ) auch in anderen Bereichen (Boenninghausen); am leichtesten erfassen wir sie jedoch, wenn wir den Geistes- Gemütszustand verstehen (Kent)'.

Es ist die zentrale Störung die behandelt werden muß und nicht die Pathologie !

Zusammenfassung

Dr. Sankaran bietet uns ein deutliches und verständliches Konzept der dynamischen Arzneiwirkung auf den materiellen Körper, deduziert und synthetisiert aus den Lehren der großen Empiriker und aktuellen schulmedizinischen Vorstellungen [12] zur Körper-Geist Problematik.

Gleichzeitig wird klar, daß bei Arzneimittelprüfungen vor allem die Charakteristika der dysfunktionalen PNEI-Achse, die er zentrale Störung nennt, verläßlich und reproduzierbar beobachtet werden, wohingegen lokale Symptome auch und vorallem von den pathologischen Tendenzen der Prüfer abhängen.

Letztendlich würde daher bei “vollständiger Prüfung” eines Arzneistoffes jedes Mittel in jeder Lokal-Rubrik stehen, dabei jedoch kaum neue PNEI-Rubriken erhalten, da diese in jedem empfindlichen Prüfer gleichartig sind. Dies legt den Schluß zwingend nahe, daß sich die Mittelwahl vorranging auf Symptome der zentralen Störung berufen soll.

Ausblick

In der folgenden Fortsetzung dieses Artikels werden wir uns mit der Dynamik der Krankheit und mit deren Behandlung auseinandersetzen, weiters mit der Natur der Pathologie. Vorallem aber soll das bisher präsentierte Konzept der zentralen Störung mit Hahnemanns Vorstellungen und Aussagen überprüft werden.

 

 

 

Literatur

1             Allen, T. F.            Boenninghausen´s Therapeutic Pocket Book, B.Jain Publ., New Delhi (Nachdruck 1990), Einleitung von T.F. Allen, S.10 ff.

2 .         Barthel, H.            Synthetisches Repertorium, Haug Verlag, Heidelberg 1973

3               Boenninghausen C. M. F. von            Therapeutisches Taschenbuch für Homöopathische Ärzte zum Gebrauche am Krankenbette oder beim Studium der reinen Arzneimittellehre, Nachdruck der Ausgabe 1846, LIETH Verlag, Hamburg 1991, Vorwort

4             Boger, C. M.             Addition to Kent´s Repertory, im Nachdruck bei Indian Book & Periodicals Syndicate, New Delhi

5             Boger, C. M.             Boenninghausen´s Characteristics and Repertory, im Nachdruck bei Indian Book & Periodicals Syndicate, New Delhi

6 .            Boyesen, G.            Über den Körper die Seele heilen , Kösel 1985

7               Dellmour, F.            Entwicklung der Potenzierung bei Samuel Hahnemann, HIÖ 3 (1992), S. 132-144

8             Gypser, K.-H.            Der Zustand der homöopathischen Materia Medica, KHZ 36 (1992), S. 3-10

9             Kent, J. T.            Lectures on Homoeopathic Materia Medica (1904), Nachdruck bei Indian Books & Periodicals Syndicate, New Delhi, S. 453

10           Kent, J. T.            Lectures on Homoeopathic Philosophy, (5th ed. Chicago 1954), Nachdruck bei Indian Books & Periodicals Syndicate, New Delhi

11 .       Lowen, A.            Bioenergetik, Rowohlt TB Verlag, Reinbeck 1965
            Der Verrat am Körper, Rowohlt TB Verlag, Reinbeck 1967

12 .       Mezger, J.            Gesichtete Homöopathische Arzneimittellehre, Haug Verlag, Heidelberg 1951 S. 1158

13 .       Reich, W.            Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB Verlag, Frankfurt 1938
            Der Krebs, Fischer TB Verlag, Frankfurt 1971

14 .       Ringel, E., Kropiunigg, R.            Medizinische Psychologie, Facultas Verlag, Wien 1988 S.155 ff.

15               Sankaran, P.            Introduction to Boger´s Synoptic Key, The Homoeopathic Medical Publ., Bombay 1971

16 .            Sankaran, R..             The Spirit of Homeopathy, Eigenverlag, Bombay 1991

 

Anschrift des Autors:

Helmut Retzek (cand.med.)

Gablenzgasse 17/24

A-1150 Wien / Österreich

FAX (+43-1-) 9853068

 



[1] diese Arbeit versteht sich als zusammenschauende Literaturarbeit. Zitate aus ( 16 ) wurden auf ihre Richtigkeit in den Orginalquellen überprüft und diese referenziert. Sollte dies nicht möglich gewesen sein wird das Zitat durch Klammerung mit einfachen Anführungszeichen ('...') als nichtüberprüftes (Sekundär-) Zitat gekennzeichnet und auf die Sekundärquelle ( 16 , Seitenzahl) zurückgeführt. Diese Vorgangsweise wird für alle Artikel dieser Serie beibehalten.

 

[2] diese Aussage wird verständlich im Wissen, daß sich der Großteil aktueller indischer homöopathischer Literatur auf Leitsymptome beschränkt

 

[3] ein faszinierendes Dokument der Entdeckungs- und Entwicklungsreise eines immer wachen, beobachtenden und forschenden Geistes finden interessierte Leser in Gerda Boyesen, Über den Körper die Seele heilen, Biodynamische Psychologie und Psychotherapie ( 6 ), wo grundlegende Erkrankungs- und Heilungsgesetze empirisch “wiederentdeckt” und in einfacher Diktion der Psychologie formuliert werden.

 

[4] es handelt sich offensichtlich um jene Rubrik-Gruppen, die in den 3 Bänden des Synthetischen Repertoriums ( 2 ) zusammengefaßt sind

 

[5] eine Aussage, die der Autor als AMP-Leiter vollinhaltlich bestätigen kann

 

[6] ein äußerst interessanter Beitrag zur Entwicklung der Potenzierung bei Hahnemann siehe Friedrich Dellmour ( 7 ). Kurz: Hahnemann empfahl ab 1835 alle Arzneirohstoffe bis zur C3 zu triturieren und gab das Potenzieren aus Urtinkturen bzw. Lösungen auf.

 

[7] zB. die Symptome von Platin wurden vorallem an nur einer einzigen Prüferin erhoben ( 12 , S.1158)

 

[8] kann man diese Aussage anerkennen, relativierten sich in gewisser Weise die derzeit unternommenen Versuche einer endgültigen, genau dokumentierten und referenzierten “kompletten Enzyklopädie aller Prüfungssymptome” (wiewohl das Ergebnis dieser Arbeit dringend erwartet wird) ( 8 ).

 

[9] sowohl im Vorwort von Boger´s Synoptic Key als auch in der Einleitung zu Boenninghausen´s Therapeutisches Handbuch wird diese Vorgehensweise als wesentlich für die Mittelwahl bezeichnet. Weiters basieren das Repertorium von Phatak und schließlich das Repertorium von P. Sankaran, dem Vater von Rajan Sankaran, darauf.

 

[10] Rajan Sankaran weist auf den Vorteil dieser Technik hin bei den sogenannten “Small Remedies”, die meist nur als spezielle Lokal-Mittel eingesetzt werden. Berberis vulgaris mit Schmerz, von einem kleinen Punkt radiär ausstrahlend wird fast ausschließlich bei Nierenerkrankungen angewendet, obwohl diese, die zentrale Störung charakterisierende Eigenheit bei anderen Leiden mit solcher Schmerzcharakteristik sehr hilfreich sein könnte ( 16 , S.76).

 

[11] Rajan Sankaran betont diesen Punkt ( 16 , S.75) als besonders kennzeichnend für die zentrale Störung, da es sich um reine nervöse Sensationen handeln muß.

 

[12] konzeptuelle Übereinstimmung mit der NLP wird im Teil 4 (Delusion) behandelt.

publiziert: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 1; AHZ; 239; 3/94; 100

 

 


 

Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica  -  eine Einführung

Teil II       H. Retzek

 

publiziert: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 2; AHZ; 239; 4/94; 147

 

In der vorliegenden Artikelserie wird versucht, ein kürzlich entwickeltes theoretisch-philosophisches Konzept des Krankheits & Arzneimittelverständnisses, die Situational Materia Medica (SMM), wie sie von Rajan Sankaran formuliert wurde, transparent zu machen.

Im ersten Teil wurde der Begriff der zentralen Störung definiert, der hier erweitert und verdeutlicht werden soll. Grundlagen zur Dynamik der Krankheit und der Behandlung werden angesprochen. Schließlich werden Hahnemanns Aussagen zu diesem Thema zitiert.

 

Schlüsselwörter

Hahnemann, Sankaran, Dynamik, Lebenskraft, Pathologie, Situational Materia Medica,

 


In the following series of articles I will try to provide some insights into the Situational Materia Medica (SMM), a theoretical-philosophical concept of understanding disease & remedies, as was developed recently by Rajan Sankaran.

In the first part we defined the term central disturbance which will be deepend and extended now. The dynamic of disease and treatment is discussed. Finally, Hahnemanns writings regarding this issue are examined

 

 

Keywords

Hahnemann, Sankaran, dynamic, vital force, pathology, situational materia medica

 


 

 

Im ersten Teil wurde gezeigt, daß eine Störung des Organismus sich zuerst und vor allem auf der Ebene der Psyche (P) und deren drei Effektorsysteme (Vegetativum (N), hormonelle Regulierung (E) und Immunsystem (I), kurz PNEI-Achse [1] ) manifestiert. Eine dysfunktionale PNEI-Achse wurde zentrale Störung genannt.

In Arzneimittelprüfungen können Charakteristika der dysfunktionalen PNEI-Achse verläßlich und reproduzierbar beobachtet werden, während lokale Symptome vorallem von den pathologischen Krankheits-Neigungen der Prüfer abhängen.

Letztendlich würde daher bei “vollständiger Prüfung” eines Arzneistoffes jedes Mittel in jeder Lokal-Rubrik stehen, dabei jedoch kaum neue PNEI-Rubriken erhalten, da diese in jedem empfindlichen Prüfer gleichartig sind und daher bereits bei kleiner Prüferzahl relativ vollständig erhoben werden können. Daher soll sich die Mittelwahl vorranging auf Symptome der zentralen Störung berufen.

 

Dr. Sankaran faßt im folgenden Aussagen aus den Schriften Hahnemanns und der großen Meister zu den Themen Lebenskraft, Krankheit und deren Behandlung zusammen, die aufgrund ihrer Prägnanz  und Bedeutung zum Verständnis der Situational Materia Medica (in gekürzter Form) zitiert werden sollen:

 

Zur Dynamik der Krankheit - das Konzept der “Lebenskraft” ( 5 , S. 52)

1.    Die Lebenskraft versucht den Menschen im Zustand der Gesundheit zu erhalten.

2.    Wird der Körper attackiert (z.B. durch Infektion, Vergiftung ...) kommt es zu einer initialen allgemeinen Reaktion, einer funktionellen Störung des gesamten Körpers (Fieber, Schwäche, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit ...), abhängig vom Krankheitsauslöser. Dies zeigt eine funktionelle Störung des PNEI-Systems an, welches als erstes erfaßt wird.

3.    Die Lebenskraft versucht die Störung so lange wie möglich auf der allgemeinen Ebene zu halten, um keine pathologischen Veränderungen in den Organ-Systemen zuzulassen.

4.    Ist die Störung zu intensiv, um vom gesamten System ertragen zu werden (z.B. Fieber zu hoch), kommt es auch zur lokalen Wirkung an Organen.

5.    Die Grenze zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist vom physischen Zustand des Patienten abhängig: Kinder haben sehr starke Organe, die leicht auch einen hohen Grad an funktioneller Störung ertragen können (z.B. das Herz kann noch hohes Fieber tolerieren). Daher finden wir hier ausgeprägte allgemeine Störungen mit nur sehr geringer Pathologie. Daher kann man die besten Gemüts und Allgemein-Symptome bei Kindern beobachten. Der Organismus alter Menschen hingegen erträgt weniger an Störungen, weshalb bei nur geringen Gemüts-/Allgemein-Symptomen schon ausgeprägte pathologische Veränderungen zu finden sind..

6.    Eine starke Störung kann für kurze Zeit auf zentraler Ebene ertragen werden. Danach wird sie lokalisiert,

7.    und zwar zuerst an den am wenigsten wichtigen Organbereiche des Körpers.

8.    Trotzdem versucht die Lebenskraft, die entstandene lokale Pathologie so gering als möglich zu halten.

9.     Anschließend wird die zentrale Störung verringert, da sie in die Peripherie abgeleitet werden konnte.

10.   Die Stärke der Gesamtkrankheit ergibt sich daher aus der Summe der Störungen im Zentrum und in der Peripherie (funktioneller wie pathologischer Art).

11.   Ist die Störung zu stark, die Toleranzgrenze des Körpers zu gering oder wird die Störung von einem lokalen Teil supprimiert, so erlaubt die Lebenskraft - nur in diesen 3 Fällen - daß die Störung auf vitalere Organe übergreift.

12.   Welcher Teil affiziert wird, wird i) durch die “Bereitschaft” der Störung und ii) die angeborene oder erworbene Organminderwertigkeit bestimmt.

13.   Sogar abgeleitet als “lokale Störung” wird sich die zentrale Störung durch ihre Eigenheiten charakteristisch zeigen.

14.   Bei fortgesetzter Störung wird auch die PNEI-Achse erfaßt, jetzt aber nicht mehr funktionell sondern durch echte pathologische Manifestation.

15.   Die Ebene der Auseinandersetzung zwischen Störung und Lebenskraft gibt Hinweise auf die Stärke und Vitalität des Organismus. Eine starke zentrale Störung mit geringer Pathologie zeigt hohe Vitalität. Ernste Pathologie mit geringer zentraler Störung hat eine wesentlich schlechtere Prognose.

16.   Daher gibt es a) zentrale oder allgemeine Erkrankungen  und b) periphere oder lokale Erkrankungen.

17.   Unter zentraler Störung verstehen wir Veränderungen in der Funktion des PNEI-Systems. Sie äußert sich in Gemüts- und Allgemein-Symptomen und spezifischen lokalen Veränderungen.

18.     Pathognomonische Symptome geben keinen Hinweis auf die zentrale Störung.

19.   Da die zentrale Störung zum Schutz des Organismus durch die Lebenskraft in die Peripherie abgeleitet wird, geben lokale Symptome, insbesondere die Modalitäten und nicht-pathognomonischen Symptome, Hinweise auf die zentralen Störung

20.   Krankheit ist nicht eine eigene Entität, sondern eine Störung der Lebenskraft, deren Funktion die Gesunderhaltung des Körpers ist. Wenn wir sagen, daß die Lebenskraft die Krankheit in die unwichtigsten Teile des Organismus leitet, meinen wir eigentlich, daß die Lebenskraft zu verhindern versucht, daß durch ihre eigene Störung vitale Organe affiziert werden.

Zur Dynamik in der Behandlung  ( 5 , S. 56)

1.    Eine Arznei, die der zentrale Störung entspricht, wird die lokale Pathologie heilen (da diese nur lokalisierte zentrale Störung ist).

2.    Ein Mittel, daß nur die Lokalsymptome berücksichtigt, kann nur für einige Zeit erleichtern.

3.    Da die lokale Pathologie als Ventil der zentralen Störung anzusehen ist, wird Unterdrückung die Störung ins Zentrum zurückstoßen und die Lebenskraft schwächen. Diese SUPRESSION kann auch homöopathisch erfolgen, wenn die Arznei nur nach lokalen Symptomen gewählt wurde und nicht der zentralen Störung entspricht.

4.    Daraus ergibt sich: wenn wir die zentrale Störung behandeln, wird die Lebenskraft den Organismus heilen. Krankheit ist Störung im Zentrum und unsere Mittel sollten immer auf das Zentrum gerichtet sein. Eine verletzte Person mit lokalen Arnika-Symptomen benötigt kein Arnika, da die Lebenskraft mit dieser Störung alleine fertig wird, bis die zentralen Symptome ebenfalls Arnika indizieren [2] .

 

Ob akute oder chronische Störung - nur eine Veränderung im Zentrum indiziert ein anderes Mittel. Wenn ein chronisch kranker Patient unter Pulsatilla Gelbsucht entwickelt, so müssen wir die Symptome überprüfen. Zeigt er den ursprünglichen Gemütszustand, dieselben Allgemeinsymptome und Modalitäten wie vor der Gelbsucht, ist das Mittel weiterhin angezeigt. Es kann aber auch sein, daß der Patient während der Gelbsucht ein verändertes Appetit-, Durst-, Modalitäten-, usw. Verhalten entwickelt. Nur dann ist ein Wechsel der Verschreibung angezeigt.

Die Indikation für einen Wechsel des Mittels ist ein Wechsel der Indikation

“Die Pathologie wächst an der zentralen Störung wie der Efeu an einem Stock. Was wir tun müssen, ist die zentrale Störung zu entfernen.” ( 5 , S.5).

Zur Natur der Pathologie

Wenn also die zentrale Störung die Fähigkeiten des Organismus, sie auf allgemeiner, funktioneller Ebene (Fieber, Schwäche, Appetitlosigkeit, Reizbarkeit ...) zu ertragen, überschreitet, dann kommt es zur Lokalisierung und einer Pathologie, deren Natur abhängt von ( 5 , S. 70):

1.    der Natur der Störung:     Belladonna wird Appendizitis den Warzen bevorzugen, da es hier seine Charakteristik deutlicher zeigen kann, Colocynthis affiziert natürlich eher den Darm als einen Schnupfen hervorzurufen, da seiner Natur die Spastik und Kolik entspricht.

2.     Angeborenen oder erworbenen Krankheitsbereitschaften für eine spezielle Pathologie:

       die Aesculus Störung führt zu venösen Stauungen und wird typischerweise Hämorrhoiden verursachen. Wenn aber ein Individuum ohne Anlage für Hämorrhoiden aber mit starker Neigung zur Konjunktivitis in den Aesculus-Zustand kommt ? Wahrscheinlich sind geschwollene Venen im Auge zu sehen anstatt im Rektum und bei Bevorzugung von Lokal-Symptomen wird das Mittel nicht gefunden, da man Aesculus vorallem mit Hämorrhoiden verbindet.

3.    Die Vitalität:     eine starke Vitalität wird der Natur der Störung trotzen und diese auf funktioneller Ebene halten können, oder nur eine “unbedeutende” lokale Pathologie zulassen.

 

In akuten Erkrankungen, besonders bei hochvirulenten Infektionen wird unabhängig von Krankheits-Neigung und Vitalität die entsprechende Pathologie hervorgerufen. Besteht eine starke Bereitschaft für eine bestimmte Erkrankung, dann kann diese durch beinahe jede Störung zum Ausbruch gebracht oder verschlimmert werden. Ist die Bereitschaft nur schwach, dann benötigt es eine intensive und spezifische Störung.

Daher: der sicherste Weg zur richtigen Verschreibung zu gelangen ist, bei den GG- und Allgemein-Symptome zu beginnen. In umgekehrter Richtung, also bei der Pathologie anzufangen, kann gefährlich sein und in die falsche Richtung führen ( 5 , S.72).

Zur Prognose  ( 5 , S. 72)

Die beste Prognose finden wir in jenen Fällen, bei denen sich die Pathologie bei einer nur geringen Bereitschaft dafür entwickelt hat, da es eine sehr spezifische und intensive Störung dazu bedarf.

Auch bei intensiver Störung mit nur geringer Pathologie besteht eine ausgezeichnete Prognose vor, da man nach Erleichterung der Störung fast sicher sein kann, daß die Pathologie wieder verschwindet. Pathologien ohne Bereitschaft (akute Erkrankungen) zählen ebenfalls zu dieser Gruppe.

Bei jenen Fällen aber, die eine starke Bereitschaft mitbringen besteht eine schlechte Prognose, da die Pathologie schon durch geringe Störung bzw. eine beliebige Störung aufrechterhalten wird. Dies sind jene Patienten, bei denen man nur eine schwache zentrale Störung (Modalitäten, Allgemein-, GG-Symptome) mit deutlicher und im Vordergrund stehender Pathologie aufnehmen kann.

 

Vergleich mit historischen Grundlagen

Was findet man zu diesem Thema bei Hahnemann? Sind Sankarans Überlegungen noch der homöopathischen Lehre entsprechend oder verschwindet er bereits in “esoterischem Psychodunst” wie Kritiker meinen ?

 

“.. daß es der homöopathische Arzt ... bei allen chronischen Krankheitsfällen nicht allein mit der eben vor Augen liegenden Krankheits-Erscheinung zu thun habe, ... sondern daß er es immer nur mit einem abgesonderten Theile eines tief liegenden Ur-Uebels zu thun habe, ... daß er folglich möglichst den ganzen Umfang aller der dem unbekannten Ur-Uebel eignen Zufälle und Symptome erst kennen müsse, ehe er sich Hoffnung machen könne, eine oder mehre, das ganze Grundübel mittels ihrer eigenthümlichen Symptome homöopathisch deckende Arznei auszufinden, ...” ( 3 , S.6-7),  siehe auch Organon §187 ff:

1.    Die offensichtliche Krankheit ist nur die Spitze des Eisberges, der Ausdruck einer Störung im System.

“Denn da die meisten, ja die allermeisten Krankheiten dynamischen (geistartigen) Ursprungs und dynamischer (geistartiger) Natur sind, ihre Ursache also nicht sinnlich zu erkennen ist ....” ( 4 , Einleitung S.12)

“... die Krankheiten der Menschen [beruhen] auf keinem Stoffe, keiner Schärfe, d.i. auf keiner Krankheits-Materie, sondern daß sie einzig geistartige (dynamische) Verstimmungen der geistartigen, den Körper des Menschen belebenden Kraft (des Lebensprincips, der Lebenskraft) sind.” ( 4 , Vorrede S.9)

2.    Die eigentliche Erkrankung ist eine dynamische (funktionelle) Störung des Systems.

“... (ein äußeres Uebel) ... könnte gar nicht zum Vorschein kommen, ohne die Zustimmung des ganzen sonstigen Befindens und ohne die Theilnahme des übrigen lebenden Ganzen (... des Lebens-Princips); ja dessen Emporkommen läßt sich, ohne vom ganzen (verstimmten) Leben dazu veranlaßt zu seyn, nicht einmal denken, so innig hängen alle Theile des Organisms zusammen und bilden ein untheilbares Ganzes in Gefühlen und Thätigkeit. Kein Lippen-Ausschlag, kein Nagelgeschwür giebt es, ohne vorgängiges und gleichzeitiges inneres Uebel-Befinden des Menschen.“( 4 , §189).

3.    Jede Störung wirkt sich ganzheitlich aus.

[Allopathische Ausleitungs- & Purgier-Behandlung ist sinnwidrig, da es nichts abzuleiten gäbe, da Krankheiten] “... nie etwas Anderes waren, als geistig dynamische Verstimmungen seines an Gefühl und Thätigkeit geänderten Lebens.” . “... daß jede [Krankheit] bloß und stets eine besondere virtuelle, dynamische Verstimmung des Befindens ist ...”( 4 , Vorrede, S.19)

4.            Krankheit ist eine funktionelle Verstimmung (Störung) des Befindens

“[Krankheiten sind] dynamische Verstimmungen unseres geistartigen Lebens in Gefühlen und Thätigkeiten, das ist, immaterielle Verstimmungen unsers Befindens ...” ( 4 , Vorrede, S.17)

5.    Die Störung befällt primär die PNEI-Achse und beeinflußt Gefühle, Tatkraft und Befinden.

“So auch, wenn die sich selbst überlassene Natur bei den dem Leben von einem innern chronischen Uebel drohenden Gefährdungen, sich nicht anders zu helfen weiß, als durch Hervorbringung äußerer Localsymptome, um die Gefahr von den zum Leben unentbehrlichen Theilen abzulenken und auf diese für das Leben nicht unentbehrlichen Gebilde hinzuleiten (Metastase), so führen diese Veranstaltungen der ... Lebenskraft doch zu nichts weniger, als zu wahrer Hülfe oder Heilung.” ( 4 , Vorrede S.25). “Zweilen erregt die Lebenskraft, um das innere Siechthum zu erleichtern, kalte Geschwülste äußerer Drüsen ...” ( 4 , Vorrede S.26)

6.    Bei bedrohlicher Störung leitet die Lebenskraft die Krankheit in die Peripherie und erleichtert dadurch den Druck. .

“Durch diese Arznei ... wird dann der gemeinsame Krankheitszustand des Körpers, mit dem Local-Uebel zugleich aufgehoben, und letzteres mit ersterem zugleich geheilt, zum Beweise, daß das Local-Uebel ... als ein untrennbarer Theil des Ganzen, als eins der größten und auffallendsten Symptome der Gesammtkrankheit anzusehen war.” ( 4 , §193) “Der homöopathische Arzt behandelt nie eines dieser Primär-Symptome ..., sondern heilt ... einzig nur das große, ihnen zum Grunde liegende Miasm, wovon dann auch ... seine sekundären Symptome von selbst mit verschwinden ...” ( 4 , §205).

7.    Der Arzt soll keine Lokal-Behandlung betreiben, sondern die zentrale Störung behandeln.

“[die Allopathie ...] Sie hält die, an den Außentheilen des Körpers befindlichen Uebel, fälschlich für bloß örtlich, und da allein für sich bestehend, und wähnt sie geheilt zu haben, wenn sie dieselben durch äußere Mittel weggetrieben, so daß das innere Uebel nun schlimmer an einer edlern und bedenklichern Stelle auszubrechen genöthigt wird.” ( 4 , Vorrede S.8).

8.    Lokal-Behandlung wirkt suppressiv und verschlimmert die zentrale Störung.

“... Dieser Art sind die sogenannten Gemüths- und Geistes-Krankheiten. Sie machen jedoch keine ... getrennte Classe von Krankheiten aus, indem auch in jeder der ... Körperkrankheiten, die Gemüths- und Geistesverfassung allemal geändert ist, und in allen zu heilenden Krankheitsfällen, der Gemüthszustand des Kranken, als eins der vorzüglichsten mit in den Inbegriff der Symptome aufzunehmen ist, wenn man ein treues Bild von der Krankheit verzeichnen will, um sie hiernach mit Erfolg homöopathisch heilen zu können.” (§210).

9.            Körperliche wie Geistes- Krankheiten sind Ausdruck einer Störung des Individuums.

10.  Jede Störung verändert den Gemüts-Zustand.

11.  Jeder Gemütszustand repräsentiert die Krankheit  (kurz: der Gemütszustand entspricht der Krankheit).

“Dies geht so weit, daß bei homöopathischer Wahl eines Heilmittels der Gemüthszustand des Kranken oft am meisten den Ausschlag giebt, als Zeichen von bestimmter Eigenheit, welches dem genau beobachtenden Arzte unter allen am wenigsten verborgen bleiben kann.” (§211).

12.  Am leichtesten gewinnt man über den Geistes- Gemüts-Zustand Einblick in die Natur der Störung.

“Auf diese Haupt-Ingredienz aller Krankheiten, auf den veränderten Gemüths- und Geisteszustand, hat auch der Schöpfer der Heilpotenzen vorzüglich Rücksicht genommen, indem es keinen kräftigen Arzneistoff auf der Welt giebt, welcher nicht den Gemüts- und Geisteszustand des ihn versuchenden, gesunden Menschen [d.h. in einer Arzneimittelprüfung] sehr merkbar veränderte, und zwar jede Arznei auf verschiedene Weise.” (§212).

13.  Jede Arznei vermag einen charakteristischen Gemütszustand hervorzurufen.

14.  Jede Arznei repräsentiert einen charakteristischen Gemütszustand !

“Man wird daher nie ... homöopathisch heilen, wenn man nicht bei jedem, selbst acuten Krankheitsfalle, zugleich mit auf das Symptom der Geistes- und Gemüths-Veränderungen siehet und nicht zur Hülfe eine solche Krankheits-Potenz unter den Heilmitteln auswählt, welche nächst der Aehnlichkeit ihrer andern Symptome mit denen der Krankheit, auch einen ähnlichen Gemüths- oder Geistes-Zustand für sich zu erzeugen fähig ist.” (§213). 

15.  Nur Arzneien, die den Gemütszustand des Patienten beinhalten, werden heilen [3] .

“Mit Sorgfalt muß bei ihnen die Erforschung des ganzen Zeichen-Inbegriffs unternommen werden, ... um zur Auslöschung der Gesammtkrankheit ... ein Heilmittel auszufinden, welches in seinem Symptomen-Inhalte nicht nur die, in diesem Krankheitsfalle  gegenwärtigen Körperkrankheits-Symptome, sondern auch vorzüglich [also vorrangig] diesen Geistes- und Gemüths-Zustand in möglichster Aehnlichkeit darbietet.” (§217).

Der Gemütszustand der heilenden Arznei entspricht dem Gemütszustand des Patienten.

Kann man es denn noch besser beschreiben ? [4]     Hahnemanns Vorstellungen: Zuerst besteht die tiefliegende, verborgene Störung (Miasma), die sich in  allgemeinen, eigentümlichen Symptomen und im Geistes & Gemüts-Zustand ( 4 , §153, §210, §211) ausdrückt. Auf dieser Basis entwickeln sich in individueller Weise die “schwierig zu heilenden” (da lange Zeit nur als Lokalsymptom betrachteten) Krankheiten. Erst die Behandlung der zentralen Störung bringt die Krankheits-Anlage, und damit schließlich auch die Krankheit selbst, zum Verschwinden.

Die Arzneifindung beruft sich “vorzüglich” auf die Indikatoren der zentralen Störung. Dies ist vorallem der Geistes-Gemüts-Zustand [5] , da jede Arznei auch im Prüfer einen charakteristischen Gemütszustand verursacht.

Schlußfolgerung

Dr. Sankarans Beitrag vertieft Hahnemanns Theorien und synthetisiert sie mit modernen Erkenntnissen medizinischer und psychologischer Forschung (siehe Teil 1), ohne einen Schritt vom Weg abzuweichen, den sowohl Hahnemann [6] als auch die “tatsächlichen Fakten” vorgeben.

Mit seinem Konzept der Dynamik der Erkrankung und Behandlung faßt er implizite und oft schon bruchstückhaft ausgesprochene, jedoch selten in dieser Klarheit formulierte Grundlagen homöopathischer Heil-Kunst in leicht nachvollziehbarer Weise zusammen.

Ausblick

In der folgenden Fortsetzung dieses Artikels werden wir uns mit der praktischen Seite des Verständnisses von Patient und Arznei beschäftigen. Die Frage, wie erhalte ich nun Einblick in die Natur der zentralen Störung soll mit einer einfachen und praktikablen Methode beantwortet werden.

 

Literatur

1 .    Allen, J., H.                Chronische Krankheiten - die Miasmen,  Renée von Schlick Verlag, Aachen 1987

2 .            Dunham, C.                Lectures on Materia Medica, im Nachdruck bei B. Jain Publ., New-Delhi 1989, S. 392 ff. (zu beziehen in Deutschland bei Monsoon Verlag, D-2950 Leer); eine Übersetzung von Stefan Reis erschien in Archiv für Homöopathik 1 (1992), S. 164-170

3 .            Hahnemann, S.             Die chronischen Krankheiten, Band 1 (1835), im 5. Nachdruck bei Haug Verlag, Heidelberg 1991

4 .            Hahnemann, S.             Organon der Heilkunst, 6. Auflage von 1921, Hippokrates Verlag 1982

5 .            Sankaran, R.                 The Spirit of Homeopathy, Eigenverlag, Bombay 1991

6 .    Voegli, A.                     Leit- und wahlanzeigende Symptome, Haug Verlag 1984

 

Anschrift des Autors:

Helmut Retzek (cand.med.), Gablenzgasse 17/25, A-1150 Wien, FAX +43-1-9857068



[1] Abkürzungen: PNEI: Psyche, vegetatives Nervensystem, endokrines- und immunologisches System; GG: Geistes-Gemüts; SMM: Situational Materia Medica

 

[2] diese Aussage würde vielleicht die Hinweise erfahrener Homöopathen erklären, Arnika, Rhus-t. oder Ruta bei entsprechenden Verletzungen nicht sofort sondern erst nach einigen Tagen einzusetzen (siehe 6 ).

 

[3] Sankaran geht soweit zu sagen, daß mit anderen Arzneien homöopathische Suppression betrieben wird ( 5 , S.56)

 

[4] Für den Autor, der die Zitate für die Recherchen dieses Artikels zusammengestellt hat, waren nicht sosehr die Tiefe der Hahnemannischer Einsicht überraschend, sondern die Vorwegnahme theoretischer Grundlagen der heutigen “modernen” Schulen, die von den “Klassikern” ja gerne als unhomöopathisch und Nicht-Hahnemannisch beschrieben werden.

 

[5] Hahnemann schien bewußt immer “Gemüths- und Geistes-Zustand zu sagen, nicht - und darauf legt Dr. Sankaran besonderen Wert - Gemüths- und Geistes-Symptome.

 

[6] Seit Beginn der Arbeit an dieser Artikelserie fand der Autor zahlreiche gleichlautende Aussagen in historischen Texten, besonders auf das wunderbare Werk von J.H. Allen Chronische Krankheiten - die Miasmen ( 1 ) oder den angezeigten Abschnitt aus  C. Dunham ( 2 )  sei in diesem Zusammenhang hingewiesen.

publiziert: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 2; AHZ; 239; 4/94; 147

 

 

 


Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica  -  eine Einführung

Teil III                Praktisches Vorgehen zum Verstehen der zentralen Störung

H. Retzek


publiziert unter: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 3; AHZ; 239; 5/94; 181

 

In der vorliegenden Artikelserie wird versucht, ein kürzlich entwickeltes theoretisch-philosophisches Konzept des Krankheits & Arzneimittelverständnisses, die Situational Materia Medica (SMM), wie sie von Rajan Sankaran formuliert wurde, transparent zu machen.

In diesem Abschnitt soll der Zugang zum “Gemütszustand” einer Arznei und des Patienten präsentiert werden.


In the following series of articles I will try to provide some insights into the Situational Materia Medica (SMM), a theoretical-philosophical concept of understanding disease & remedies, as was developed recently by Rajan Sankaran.

This part tries to present a way to get insight in the “state of disposition” of a remedy as well as a patient.

 


In den ersten beiden Teil wurde ausführlich begründet, wieso der Gemütszustand des Patienten eine Schlüsselrolle bei der Mittelfindung einnehmen sollte. Rajans Verständnis zur Dynamik von Krankheit und Heilung wurde präsentiert sowie Zitate von Hahnemann, die belegen, daß sich Rajans Vorstellungen in jedem Punkt auf Hahnemanns Vorgaben beziehen [1] .

Eine kurze Zusammenfassung soll der Erinnerung dienen

Homöopathische Arzneien können da immateriell nicht direkt auf den materiellen Organismus einwirken. Als Effektorsystem zur Somatisierung dient die PNEI-Achse [2] . Dysfunktion der PNEI-Achse wird als zentrale Störung bezeichnet und geht jeder Krankheit voraus. Abhängig von der Vitalität, den pathologischen Tendenzen und Organminderwertigkeiten eines Organismus manifestieren sich diese Störungen als (lokale) Krankheit.

Während einer Arzneimittelprüfung (AMP) wird in jedem empfänglichen Prüfer eine gleichartige funktionelle Störung “induziert”. Deswegen sind Indikator-Symptome  (siehe Tabelle 1) der PNEI-Achse in allen Prüfern ähnlich, während lokale Symptome (Zahnweh, Fieberblase, Prostatitis, Gonarthritis ...) auch von den Tendenzen der Prüfer beeinflußt werden. Würden Arzneimittel “vollständig” geprüft, wäre schließlich jedes Mittel in jeder Lokal-Rubrik vorhanden, während jene Rubriken, die der zentralen Störung der Arznei entsprechen,  kaum erweitert würden. Daher sollte sich die Mittelwahl vorallem auf die Charakteristika der zentralen Störung berufen. Homöopathische Lokal-Therapie wirkt suppressiv und verschlechtert das zentrale Leiden.

Krankheit = Gemütszustand des Patienten = Gemütszustand des Arzneiprüfers = Gemütszustand der Arznei [3] .

Der Gemütszustand des Patienten entspricht dem der heilenden Arznei und und repräsentiert die wirkliche Krankheit - nähmlich die zentrale Störung. Diese emprisch unbestrittene und bereits von Hahnemann gefundene Gleichsetzung wird von nun an nicht mehr hinterfragt und ist für das Verständnis der Theorien Dr. Sankarans unbedingte Voraussetzung. 

Wie kann man sich einer Arznei nähern, wie läßt sich das “theoretische Konzept” des Gemütszustandes praktisch anwenden, was ist in dieser Beziehung von einer Arznei bekannt und wie kann man den noch unbekannten Gemütszustand des Patienten wirklich erfassen ?.

Der Gemütszustand der Arznei

Es muß sich dabei um etwas anderes handeln, als einfach nur die Geistes-Gemüts-Rubriken einer Arznei aufzulisten. Auch Hahnemann gebrauchte nie den Ausdruck Gemüts-Symptome, sondern immer nur Gemüts-Zustand, also eine aktuelle Befindlichkeit. Da wir von einer Arznei nur die Rubriken kennen, suchte Rajan eine praktikable Methode, um daraus den Zustand zu rekonstruieren.

“Essenzen” schienen ihm nicht ausreichend, da sie mit einer einzigen prominente Eigenschaft als Zentrum alle weiteren Eigenheiten darauf zurückzuführen versuchten und damit dieses Mittel viel zu sehr einengten und viele in einem Mittel enthaltene Symptome nicht schlüssig erklären konnten. 

 

PNEI-Symptome (1, S.37/38)

1.    Psychische Symptome

2.    Allgemeines, u.a.

          Modalitäten (z.B. Reaktion auf Temperatur, Lärm, Bewegung ..)

          Veränderungen des Appetit und Durst-Verhaltens

          Verlangen und Abneigung

          Schlaf und Träume

          Schweiß-Verhalten

          Sexual-Funktion und Impulse, Menstruations-Charakter

3.    Eigentümliche und Charakteristische Symptome

4.    Eigentümlichkeiten der Lokalerkrankung (nicht-pathognomonische Symptome)

 

Besser schien sich das Mittel unter dem Gesichtspunkt von Komponenten (grundlegende Charakterzüge) verstehen zu lassen. Symptome einer Krankheit, sowie bestimmte Verhaltensweisen, die ja Ausdruck des Gemütszustandes sind, wären dann bestimmte Kombinationen dieser Komponenten.  Komponenten sind immer als hochwertige PNEI-Symptome im Repertorium zu finden.

Wie ein Mittel charakterisieren

Eine Person kann z.B. durch ihr Temperament [4] beschrieben werden. ”Er ist intelligent” charakterisiert wohl niemanden ausreichend, aber die Kombination der Komponenten “intelligente, gehetzte Person mit mangelndem Selbstvertrauen, reizbar und furchtsam” zeichnet einen Menschen recht genau.

Es ist die Kombination von grundlegenden PNEI-Symptomen (Komponenten) einer Person/Arznei, die diese charakterisiert. Ähnliche Arzneien können unter Hinzunahme weiterer Komponenten voneinander differenziert werden.

Zum Beispiel:

Erhöhtes sexuelles Verlangen  z.B. Fluor.-ac., Lil.-tig., Hyos., Staph., Bufo.

Lilium tigrum

Dieses Mittel hat zwei weitere prominente Charakterzüge: Rastlosigkeit und Religiosität. Diese 3 Komponenten sind also in AMPs prominent zum Vorschein gekommen und weisen auf den Arznei-induzierten Gemütszustand der Prüfer hin.

Wie müßte nun der Gemütszustand einer Person/Arznei beschaffen sein, der diese drei Komponenten in sich vereint ?

Synthese des Gemütszustandes aus seinen Komponenten

Durch empathisches Einfühlen sollte man versuchen, diese drei “Charakter-Eigenschaften” (Hast, sex. Verlangen, religiös) der Arznei zu einem schlüssigen – also lebensnahen Bild zusammenzusetzen.

Lilium tigrum ist sehr religiös und empfindet daher das starke sexuelle Verlangen als etwas Unmoralisches das unterdrückt werden muß.  Da dieses Mittel hastig ist, kann es sein Verlangen am leichtesten durch übertriebene Geschäftigkeit überspielen.

Und wirklich findet sich im Repertorium die charakteristische Rubrik “Rastlos, muß sich immer beschäftigen um sein sexuelles Verlangen zu unterdrücken”, die das Bild, das aus den Komponenten synthetisiert wurde, bestätigt.

Ableitung der Komponenten aus einem charakteristischen Symptom

Beim Versuch den aus Komponenten zusammengesetzten Ausdruck “Rastlos, muß sich immer beschäftigen um sein sexuelles Verlangen zu unterdrücken” in seine Komponenten zu zerlegen, erhält man unmittelbar einsichtig: rastlos und erhöhtes sexuelles Verlangen.

Weiters: Tatendrang, fleißig, Arbeit verbessert, ungeduldig, reizbar ..... Sollte der Gemütszustand, den man aus dem zusammengesetzten Ausdruck “erfühlt” hat “stimmig” sein, werden sich diese Komponenten sofort durch Nachblättern im Repertorium bestätigen lassen.

Bei der Frage “Wann oder Wieso muß jemand sein sex. Verlangen unterdrücken ?” wird man rasch auf die Antwort “starke Religiosität !” stoßen, denn dies ist das offensichtlichste und stimmigste Bild, daß sich zur Kombination “Rastlos, ... um sein sexuelles Verlangen zu unterdrücken” (in unserem Kulturkreis) aufdrängt. Das Repertorium wird es bestätigen, als Beweiß, daß der Gemütszustand der Arznei richtig erfaßt wurde [5] .

 

Acidum fluoricum

erhöhtes sexuelles Verlangen, ehebrecherisch, Abneigung gegen Verantwortung, Gleichgültigkeit gegen Geschäfte.  Diese Rubriken zu einem Bild synthetisiert erhält man:  ein verheirateter Mann, der auf der Straße steht und den vorbeigehenden Frauen nachstarrt. 

Der Versuch dieses Bild in seine Komponenten zu zerlegen, ergibt (1, S103) erhöhtes sexuelles Verlangen; Gleichgültigkeit gegenüber geliebten Personen; Wahnvorstellung, muß die Ehe auflösen; fröhlich; heiter; lüstern; warmblütig; das Nachschlagen im im Repertorium bestätigt, daß der Gemütszustand richtig erfasst wurde.

Die Differenzierung von Staph., Hyos., Bufo siehe (1, S.103).

 

Alle diese Mittel haben eine gemeinsame Komponente: erhöhtes sexuelles Verlangen, unterscheiden sich aber sehr in anderen.  So erhält jedes der Mittel durch Kombination grundlegender Charakterzüge sein charakteristisches “Temperament”, wobei die einzelnen Komponenten jedoch nicht “herausstehen”, sondern im Sinn eines lebensnahen Bildes miteinander verschmelzen um einen charakteristischen Gemütszustand zu bilden.

Rajan vergleicht bildhaft mit einem Gericht, in dem verschiedene Gewürze und Inhaltstoffe einen charakteristischen, einzigartigen und unverwechselbaren Geschmack ergeben. Das Weglassen oder die Zugabe einer weiteren wichtigen Komponente verändert den Geschmack vollkommen (1, S.117).

Um eine Person/Arznei zu beschreiben verwendet man bestimmte Attribute (intelligent, sehr reizbar, furchtsam ...), wobei wichtig ist zu verstehen, daß jedes Mittel jede Eigenschaft in sich trägt, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Diese Parameter (Tabelle 2), mit denen eine Persone beschrieben wird, liegen irgendwo zwischen den Extremen von Gegensatzpaare (1, S104):

Charakteristische Symptome werden durch Kombination von Komponenten gebildet

Es wurde bereits gezeigt, daß sich charakteristische Symptome (Expressions) durch Kombination der Komponenten ergeben. “Muß sich beschäftigen um sexuelle Bedürfnisse zu unterdrücken” konnte in die Komponenten Hast, Religiosität (Moralität), Schuld, erhöhtes sexuelles Bedürfnis zerlegt werden.

Folgendes Beispiel soll diesen Gedanken weiter verdeutlichen. Ein für Natrium sulphuricum sehr charakteristisches Symptom: “Abscheu vor dem Leben, muß sich zurückhalten um sich nichts anzutun” benötigt zur Existenz als Grundkomponenten Depression und Suicidale Neigung.  Wieso findet sich nicht auch Aurum, das doch ebenfalls depressiv und suizidal sein kann, in dieser Rubrik. Was differentiert die beiden Arzneien ?

 

“Muß sich zurückhalten” weist auf einen Gemütszustand, der die gesamte Selbstkontrolle aufbringen muß, um sich nichts anzutun. Der Patient wird depressiv, hat suicidale Impulse und fürchtet sich davor.

Welcher Mensch würde so fühlen ? Welche anderen Komponenten sind notwendig um einen derartigen Gemütszustand zu formen ?

Schüchtern, unentschlossen, furchtsam und mit sehr schwachem Willen. Das Repertorium bestätigt wieder diese Theorie mit weiteren charakteristischen Symptomen: “erschießen, muß sich beherrschen um sich nicht aus Lebensüberdruß zu”,  “Leid anzutun, fürchtet sich ein, wenn allein gelassen”.

Man würde also erwarten, daß Natrium sulfuricum einen schwachen Willen hat und ist sich durch die Erfahrung der obigen Beispiele schon sehr sicher, daß die “Ableitung” der zugrundeliegenden Komponenten aus einem charakteristischen Symptom durch das Repertorium bestätigt wird. Rajan fand im Kent das Mittel in keiner dieser Rubriken !! 

PARAMETER

 

reizbar

-

mild

furchtsam

-

kühn

traurig

-

heiter

scharfer Geist

-

stumpf

eilig

-

langsam

moralisch

-

unmoralisch

lustvoll

-

niedriges sexuelles Verlangen

übermütig

-

mangelndes Selbstvertrauen

fest, starr, entschlossen

-

unentschlossen

hypersensitiv

-

insensitive

Verlangen nach Gesellschaft

-

Abneigung gegen Gesellschaft

mitfühlend

-

gleichgültig

gutes Gedächtnis

-

schlechtes Gedächtnis

impulsive, gewaltätig

-

langsame Reaktion

geschwätzig

-

still

egoistisch

-

demütig

fleißig

-

faul

eifersüchtig

-

überhaupt nicht eifersüchtig

eifrig

-

nicht ambitioniert

musikalisch

-

Abneigung gegen Musik

veränderlich

-

fixiert

Trost verbessert

-

Trost verschlechtert

Ängstl. um Gesundheit

-

Gleichgültig um Gesundheit

theoretisieren, planen

-

Mangel an Vorstellungskraft

starker Wille

-

mangelnder Wille

hartköpfig

-

nachgebend

hinterhältig

-

Mangel an Listigkeit

weint leicht

-

weint nie

ausdrucksvoll

-

reserviert / geheimnisvoll

hellsichtig

-

Abwesenheit jeder Hellsichtigkeit

kindisch

-

frühreif

verlangen zu reisen

-

Abneigung zu reisen

verzweifelt

-

hoffnungsfroh, optimistisch

Das Wesen eines richtigen Modelles ist, daß sie vorhersagbare Ergebnisse produziert und durch Fakten bestätigt und nicht widerlegt wird. Ist also die Methode des Aufschlüsselns charakteristischer Symptome in die Komponenten, um die Parameter des Gemütszustandes zu erfassen, falsch ?  Sollte ein so spezifischer Charakterzug wie “schwacher Wille”, ohne dem nach der vorgestellten Methode die oben angeführten charakteristischen Rubriken nicht zustandekommen dürften, als PNEI-Symptom nicht in einer AMP prominent aufgetreten sein ?

Rajan war sich seiner Idee so sicher, daß er im Hering nachschlug um dort hervorgehoben zu finden: “extrem schüchtern und ängstlich, Lebensmut verloren, Geist geschwächt” !

Aurum wiederum ist in diesem Parameter gegenteilig ausgeprägt und zeigt die Komponente extrem starker Wille (angezeigt zB durch das Symptom “Delusion [6] , hat Pflicht versäumt und verdient Bestrafung”).  Aurum würde sich die Frage stellen: “springe ich oder nicht” und bei “ja” einfach hinunterspringen.

“Single Symptom Rubriken” repräsentieren charakteristische Kombinationen

Rubriken, die nur ein Mittel enthalten, in Komponenten zu zerlegen, erweist sich als sehr wertvoll, da sie oftmals eigene und recht charakteristische Kombinationen des Mittels anzeigen, die man in keinem anderen Mittel findet.

Acidum nitricum: “Haß auf Personen die ihn beleidigt haben, ungerührt durch Entschuldigungen”, als Single Symptom Rubrik sogar im 3ten Grad !  Durch Aufschlüsselung in die Komponenten versteht man das Mittel sofort besser:

“Haß”, “leicht beleidigt”, “starr im Denken”, “hartnäckig, hartköpfig”, “verächtlich”, “Trost verschlimmert” (das Repertorium bestätigt wieder die Richtigkeit, mit der der Gefühlszustand des Symptoms  “Haß .... ungerührt ...” erfaßt wurde).. 

Re-Synthetisiert man diese Komponenten zu einem Gemütszustand, könnte man durchaus auch Haß auf Personen, die gar nicht beleidigt haben, oder Haß auf bestimmte Dinge - so wie sie sind, Starre und Hartköpfigkeit in ganz anderen Beziehungen, besonders in Gesundheitsfragen (da Acidum nitricum noch dazu starke Angst um die Gesundheit hat) “drin finden”.

Alles abgeleitet durch Analyse eines Single Symptoms, jedoch - und das unterscheidet Rajans Technik von anderen Modellen - bestätigt durch das Wiederfinden des Mittels in den entsprechenden Rubriken ! 

Unterscheidung von grundlegenden Parameter und Expressions [7]

Lassen wir Rajan zu Wort kommen (1, S.113): “Was ist kalt, hart und farblos ?” - “Eis” würden sie sofort antworten.  Würde ich sie fragen ob es nicht vielleicht ein Glas im Kühlschrank sein könnte, würden sie bald antworten: “es ist nicht ´bedingungslos´ kalt, nur im Eisschrank”. Die grundlegenden Komponente von Eis sind also: Kälte (es ist auch kalt im heißen Raum), Härte, Farblosigkeit”.                  Damit erkennen wir:

 

1.    grundlegende Komponenten sind “bedingungslos”, sie verändern sich nicht und können nicht erklärt werden

2.    Expressions beinhalten Bedingungen (wie die Kälte des Glases)

3.    ein Objekt läßt sich wesentlich leichter über seine grundlegenden Komponenten als mittels Expressions identifizieren.

Expression

Die Expression ist also dadurch gekennzeichnet, daß ihr verschiedene Gefühle bzw. Gemütszustände zugrundeliegen können, die nicht unmittelbar erfaßbar sind. Es handelt sich hierbei um Effekte von Komponenten, nicht die Komponente selbst. Ein Beispiel klärt sofort wieder (1, S.110; aus Platzgründen stark gekürzt):

Die Mittel der Rubrik “Leiden durch Erwartungsspannung” haben vollkommen unterschiedliche Komponenten. Medorrhinum fürchtet sich vor Unglück, Lycopodium mangelt es an Selbstvertrauen, Silicea ist sehr um sein Image besorgt, Ambra ist unglaublich verlegen und empfindet Peinlichkeiten überstark, Psorinum - sehr dem Med. ähnelnd - ist voller Verzweiflung, Barium-carbonicum fühlt sich unfähig, Staphisagria hat extreme Verletzlichkeit. 

Es ist daher ersichtlich, daß es zwei Arten von Psychischen Symptomen gibt:

 

1.    Grundlegende Parameter: hastig, eifersüchtig, Furcht, Ärger; und ihre Kombinationen: “sagt Todesstunde vorraus” (Furcht vor Tod, hellsichtig), “Verlangen nach Gesellschaft, die er dann rüde behandelt” (Verlangen n. Gesellschaft, Reizbarkeit, streitsüchtig).

2.    Abgeleitete Ausdrücke (Expressions): dieser Parameter oder deren Kombinationen, z.B. “Leiden durch Erwartungsspannung”, kein grundlegendes Gefühl ausdrückend, sondern ein allgemeiner Ausdruck verschiedenster zugrundeliegender Komponenten.

 

Das Vorgehen in der Praxis  -  wie erhält man die Komponenten des Patienten

Jedesmal fragen “Warum existiert dieses Symptom”.  Bekommt man eine Erklärung, dann handelt es sich um eine Expression. Natürlich muß man jetzt wieder die Erklärung hinterfragen, wieder und wieder - bis man an den Punkt gelangen, an dem man keine ausreichende Erklärung für die Existenz des Symptoms mehr bekommt - nun ist ein grundlegender Parameter der Person gefunden. 

 

Ein Patient erzählt, daß er gerne unter Leuten ist. Nun fragt man “warum ?” .  Antwortet der Patienter “ich weis nicht warum, ich hab Gesellschaft einfach gerne” ist der grundlegende Parameter “Verlangen nach Gesellschaft” erreicht.

 

Erfährt man aber “weil ich mich alleine fürchte”, wird wieder nach dem Grund gefragt. Die Antwort “weis nicht” gibt den grundlegenden Parameter “Angst alleine zu sein”.

 

Er könnte aber auch sagen “Ich fürchte mich alleine weil ich Angst habe einen Herzinfarkt zu bekommen und zu sterben”, dann wären die grundlegenden Komponenten “Furcht vor drohender Krankheit” gemeinsam mit “Furcht alleine zu sein”.

 

Grundlegende Komponenten sind meistens Prüfungssymptome.  Außer durch Prüfung neuer Mittel würden diese Rubriken kaum erweitert werden.

Expressions sind oft klinische Symptome und diese Rubriken werden mit zunehmender klinischer Erfahrung erweitert.  Es ist daher sicherer, vorallem mit grundlegenden Parameter zu arbeiten, die Ausdrücke nur zur Bestätigung einzusetzen. 

Eifersucht ist ein grundlegender Parameter, der in den Arzneimittelprüfungen auftaucht. Einer der davon abgeleiteten Ausdrücke könnte Sarkasmus sein, ein Symptom, das in AMP kaum auftreten wird.

Mögliche Fallen

Vorsicht jedoch: Rubriken des Repertoriums enthalten Mittel, für die diese Rubrik ein grundlegender Parameter ist, als auch jene, für die die Rubrik ein abgeleiteter Ausdruck, eine Expression ist.

Eine weitere Falle: der Arzt tendiert dazu, verschiedene Expressions desselben grundlegenden Symptoms zur Mittelfindung einzusetzen und findet dann natürlich dieselbe Gruppe von Mittel, die durch diese Rubriken durchgehen. Die Mittel der Rubrik hellsichtig finden sich auch in anderen, mit diesem Zustand eintretenden Rubriken wie: geistig abwesend, Zeit vergeht zu langsam, Gefühl der Dualität, “Delusion, jemand geht neben/hinter ihm” .... Es ist also wichtig, Komponenten aus anderen Bereichen zu finden.

Weitere Beispiele

Manche Kinder werfen, sobald sie einen Hund oder eine Katze sehen, dem Tier einen Stein nach. Zerlegt man dieses Verhalten in seine Komponenten finden sich:

Furcht vor Katzen oder Hunden;  zerstörerisch;  Impuls etwas zu werfen. Diese Kombination findet man nur in Tuberkulinum, das auch jedesmal bei diesen Kindern angezeigt war.

 

“Macht oft Witze über jemand anderen”, dieses Symptom hat einige Komponenten: die Person ist witzig, schadenfroh, ein Element des Stolzes und Hochmuts muß vorhanden sein, vielleicht Eifersucht, Lebhaftigkeit (vielleicht sogar Geschwätzigkeit), man muß schnell sein, schnell handeln:  klar wird Lachesis charakterisiert. Hyoscyamus ist eifersüchtig und schadenfroh aber nicht witzig oder schnell. Coffea ist eifersüchtig und witzig und handelt schnell, aber nicht schadenfroh.

Resüme

Vor der Zusammenfassung der wesentlichsten Punkte dieses Artikels scheint es angebracht, Dr. Sankaran selbst Problem “Psychische Symptome” - “Körperliche Symptome” zu Wort kommen zu lassen [8] (1, S.101):

Lokale Eigentümlichkeiten, Allgemeinsymptome und Modalitäten charakterisieren die zentrale Störung genauso wie die psychischen Symptome. Sie alle haben dieselbe Ursache, die weder geistig noch physisch ist, sondern tiefer liegt.

Psychischen Symptome produzieren zusammengenommen jedoch ein bestimmtes, für den Geübten leicht identifizierbares “Muster”, [das im Kontext einer bestimmten jedoch in der aktuellen Realität nicht vorhandenen Situation durchaus angebracht und sinnvoll erscheint,] wohingegen die körperlichen Symptome “isoliert”, “einzeln” erscheinen. Auch kann der Gemütszustand auf vielfältige Weise bestätigt werden. Durch Träume, Hobbies, Erinnerungen usw., ja sogar die pure Beobachtung des Patienten, noch bevor er etwas erzählt, hilft bereits, den Gemütszustand besser zu verstehen.

Das Argument ist durchaus richtig, daß psychische Symptome, besonders in Patienten die sehr intellektualisieren, verwirrend sein können. In solchen Fällen wird man sich mehr an den körperlichen Symptomen orientieren.

In Fällen mit manifester Pathologie ist aber der Gemütszustand sicherlich “non-pathognomonisch” und man muß nicht erst - so wie bei den körperlichen -Symptomen - unterscheiden, welches Symptom erklärt werden kann und welches nicht. Es hängt letztendlich vom Arzt ab, womit er besser zurechtkommt, denn beides sind Türen ins selbe Haus. Man könnte auch sagen zwei Seiten derselben Münze. Weise ist der, der beide Seiten betrachtet bevor er die Münze identifiziert, egal von welcher Seite er ursprünglich ausging.

Es geht keineswegs darum, sich nur auf den Geist zu konzentrieren. Um die körperlichen Symptome zu sammeln benötigt man vorallem Genauigkeit, den Gemütszustand zu erfassen, erfordert jedoch ein besonderes Einfühlungsvermögen und Geschick, das sich mit der Übung entwickeln.”

 

 

Rajans Credo: es gibt nur eine Wahrheit. Auf welchem Weg wir zu ihr finden ist vollkommen belanglos, wichtig ist nur, daß wir sie erkennen. “Yoga, Psychotherapie, Ayuveda, Homöopathie usw. es ist alles dasselbe” [9]

 


In Rajans Buch finden sich immer wieder Beispiele aus seiner Praxis und ich möchte mit zwei “geheilten” Fällen abschließen, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß in diesem Artikel ein erster, vielleicht der wichtigste Schritt zum Verständnis der Situationellen Materia Medica unternommen wurde:

 

1.      Verhaltensweisen oder Symptome sind das Resultat eines Gemütszustandes.

2.      der Gemütszustand entspricht am ehesten der eigentlichen Krankheit.

3.      Symptome lassen sich in Grundkomponenten und Expressions einteilen. Das Wesen einer Grundkomponente ist ihre Bedingungslosigkeit.

4.      Der Charakter eines Arzneimittels läßt sich am besten als charakteristische Kombination von Grundkomponenten erfassen.

5.      Durch Analyse von charakteristischen Symptomen kann man rasch Einblick in die spezifische Konstellation der Komponenten eines Mittels erhalten.

6.      Durch Synthese der wichtigsten Komponenten kann man den Gemütszustand ergründen.

7.      Beim Erheben einer Anamnese wird solange nach Begründung gefragt, bis man keine Erklärung mehr bekommt. So erhält man eine wichtige Grundkomponente der Persönlichkeit.

 

Der wichtigste Punkt, die “Delusion”, das Verständnis des Mittels als eine in einer bestimmten Situation notwendigen und richtigen Geistes- Gemüts-Haltung wird im nächsten ..... beschrieben

 

I. (1, S117) Ein 6jähriger Bub. Immer wenn er eine Schabe sieht, stampft er sie zu Brei.

Die Komponenten dieses Verhaltens:

1.  Zerstörerisch

2.  Gewalttätig

3.  Impuls zu töten

4.  Moralischem Empfinden, Mangel an

5.  Furcht vor Tieren

       - BELLADONNA

 

II. (1, S118) Ärgerlich beschwert sich eine Patienten: „Andere Leute sagen schlimme Dinge über mich.”

Die Komponenten dieses Geist/Gemütssymptoms:

1.  Argwöhnisch, mißtrauisch

2.  Wahnvorstellung, wird kritisiert

3.  Wahnvorstellung, wird überwacht

4.  Streitsüchtig

5.  Geisteskrank

       - HYOSCYAMUS

 

 

Literatur

1.         Sankaran, R.  The Spirit of Homeopathy (1991), Bombay, Eigenverlag

 

 

Anschrift des Autors:

Helmut Retzek (cand.med.), Gablenzgasse 17/25, A-1150 Wien



[1] Zusammengefaßt in Organon §213: „Man wird daher nie homöopathisch heilen, wenn man nicht bei jedem, selbst akuten Krankheitsfällen, zugleich auf das Symptom der Geistes- und Gemüts-Veränderungen sieht, und nicht jenes Mittel wählt, .... das auch einen ähnlichen Gemüths- oder Geistes-Zustand für sich zu erzeugen fähig ist.”

 

[2] Psyche, autonomes Nervensystem, endokrines und immunologisches System

 

[3] „es gibt keinen kräftigen Arzneistoff auf der Welt, welcher nicht den Gemüts- und Geisteszustand des ihn versuchenden, gesunden Menschen (d.h. in einer Arzneimittelprüfung) sehr merkbar verändert, und zwar jede Arznei auf verschiedene Weise.“(Organon §212).

 

[4] das Lexikon definiert Temperament als “eine charakteristische Kombination von körperlichen, geistigen und moralischen Qualitäten die den Charakter einer Person ausmacht”.

 

[5] dies, da Komponenten (grundlegende Charakterzüge) bei sensitiven Arznei-Prüfern als erstes auftreten, da sie unmittelbar aus der zentralen Störung herrühren und PNEI-Symptome sind. Daher sind diese “Komponenten”- Symptome (grundlegende Parameter) einer Arznei wahrscheinlich vollständig im Repertorium verzeichnet.

 

[6] dieser Begriff, in der lexikalischen Übersetzung “Täuschung, Wahnvorstellung” in einer nicht dem Kontext entsprechende Richtung besetzt wird aus eben diesen Gründen im Orginal beibehalten

 

[7] der Autor fand keine den Kontext ausreichend wiedergebende Übersetzung und beläßt diese Definition im Orginal

 

[8] vom psychodynamischen Standpunkt ist der Richtungsstreit durchaus verständlich. Jede der Seiten hat Therapieversager der anderen Seite (was anzuzeigen scheint, daß die anderen “schlechte Homöopathie” machen), gleichzeitig hat jede Seite fantastische Erfolge (was anzuzeigen scheint, daß man selbst die “wahre Homöopathie” verfolgt). Da es weder Zahlen oder andere Vergleichsmöglichkeiten gibt noch jemals gegeben hat, besteht ausreichende Verunsicherung, um auf Toleranz und Akzeptanz trainierte Ärzte plötzlich zu erstarrten Aussagen und ungeprüfter Diffamierung zu leiten.

 

[9] als Antwort auf die Frage des Autors nach dem besten Beginn und Weg zum erfolgreichen Homöopathen

publiziert unter: Rajan Sankaran und die Situational Materia Medica - eine Einführung, Teil 3; AHZ; 239; 5/94; 181

 

 

 

 

 

 

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