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über ENURESIS: Homöoapthie in Österreich 1/02

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dieser ARtikel basiert auf Diskussionen mit Tjado Galic

 

“über ENURESIS“: Homöoapthie in Österreich 1/02, Seite ….

 

Überlegungen zur Enuresis

 

Bei der homöopathischen Behandlung der Enuresis haben sich folgende Überlegungen und Rubriken bewährt:

von einer Enuresis kann man erst ab dem 5.-6-Lj. sprechen. Wir unterscheiden dann bekanntermassen die primäre Enuresis (das Kind war noch nie trocken) von der sekundären (war trocken, nach irgendeinem Geschehen beginnt es wieder einzunässen), zur Physiologie en detail findet sich hier im Heft ein Spezial-Artikel, ich erwähne diese Begriffbilder nur im Zusammenhang ihrer homöo-therapeutischen Relevanz.

Primäre Enuresis

Bei der primären Form behandeln wir neben Fehlbildungen der Harnwege zB die neurogene Blasenfunktionsstörung auf der Grundlage organischer Defekte im Nervensystem (v.a. auch Spina bifida occulta). Dabei verwenden wir dann folgende Rubriken als Ausgangspunkt:

  • Blase Lähmung (einschl. der Unterrubriken, da sind ein paar sehr gute dabei, mit faszinierenden AM, auf die man nicht so gleich kommen würde)
  • Rücken – Spina bifida; diese Rubrik ist recht wertvoll, weil sie neurogene Blasen und Rektumphänomene einschließt und gleichzeitig AM enthält, welche als tiefe Polychreste auf Entwicklungsabweichungen einwirken können.

 

Im Februar 01 kommt ein 14jähriger Bub mit operierter Myelo-Meningocele, der an einer Kontrollunfähigkeit von Rektum & Blase leidet. Beim Lachen, Husten usw. aber auch spontan verliert er Stuhl wie Harn ohne etwas davon zu bemerken. Türkischer Abstammung, in Österreich geboren, die Eltern hatten sich vor kurzem getrennt. Grosser Tierfellnaevus, starke Akne, Durchfall bei Aufregung sonst Schafkot, heisse Füße. Mental nichts recht aufregendes.

Die Totalität ergibt natürlich Sulphur gefolgt von allen Polychresten aber hier war nichts recht stimmig, eigentlich hatte ich keine Ahnung was ich tun sollte. Also liess ich ihn mit den Rubriken: BACK; INJURIES of the spine; shock of spine

Hyperikum XM monatlich nehmen und interponierte einmalig aufgrund der Rubriken

EXTREMITIES; HEAT; Foot; sole; uncovers them & RECTUM; UNNOTICED stool Curare XM,

ein wunderbares Mittel für die vegetative Ansteuerung von Blase/Rektum.

Nach einigen Monaten kam das Gefühl in Blase/Rektum und nach 1 Jahr konnte er auf die Windel verzichten. Ich gab noch 2 x Syphilinum XM aufgrund mir jetzt nicht mehr klar nachvollziehbarer theoretischer Überlegungen (vermutlicher „Therapie-Zwang“ des Behandlers), jedenfalls geht’s seit 2002 – jetzt ohne Windel  – recht gut (seit der Erstanamnese leider nur mehr telefonische Kontakte gehabt).

 

Eine weitere Ursache der primären Enuresis können chronischer Infekte sein. Die chronische Pyelonephritis ist bei Kindern v.a. wenn nicht von Anfang eine Hydronephrose oder irgendeine andere Auffälligkeit gefunden wird nicht unbedingt gleich auffallend. Es ist daher ganz wichtig, dies im Hinterkopf zu halten:

die chronische Nierenbeckenentzündung kann sich bei den Kindern einzig durch Entwicklungsverzögerung und Schwächesymptome zeigen[1]. Nach meiner bisherigen Erfahrung bei Kindern : Sil., Sulph., Sep.[2].

 

Gottseidank trifft man obige Ursachen der Enuresis eher selten an, es handelt sich doch meistens bei der primären Enuresis um eine Entwicklungsverzögerung! Hierzu gibt es zwei grundsätzliche Überlegungen, die uns ein unterschiedliches Set von Rubriken öffnen:

Das Miktionszentrum im Hirnstamm kann aufgrund komplexer Verschaltungen während der Entwicklung physiologisch intermittierend dysregulieren[3]. Spätestens im Alter von 8-9 Jahren ist das allerdings ausgereift. Störungen dieses Pinkelzentrums zeigen sich, dass manche Kinder tags und nachts einnässen ohne eine Kontrolle zu haben, d.h. sie merken den Urinfluß einfach nicht, erst, wenn die Hose nass ist. Leitrubriken für diese Dynamik sind u.a.:

  • Blase – Urinieren – unwillkürlich – tagsüber – nachts; und
  • Harnröhre – Empfindung – fehlt beim Urinieren
  • Blase – Urinieren – unbewußt, Harnröhre ist gefühllos

 

Andererseits gibt es auch eine Schwäche des Aufwachmechanismus, eine sogenannte “Arousal Dysfunktion”. Dahinter verbirgt sich eine Erkenntnis, die aus homöopathischer Sicht sehr bedeutsam ist, weil es viele AM gibt, die genau hier eine große Wirkung haben! In der Formatio reticularis befindet sich ja u.a. das Funktionsystem welches die Großhirnrinde aktiviert. Wir erinnern uns doch alle gern an die Begriffe Vigilanz (Wachheitsgrad), vorallem morgens oder nach einem Nachtdienst! Wenn dieses System (ARAS[4]) nun vermindert anspricht, kann die Blase melden so lange sie will, “bin voll, bitte aufstehen und entleeren”; die Großhirnrinde bekommt einfach nichts davon mit und “verschläft” das Ereignis. Typisch für diesen Mechanismus ist, dass das Einnässen unabhängig von bestimmten Schlafstadien ist und man das Kind überhaupt nicht wach bekommt – eigentlich logisch auf diesem Hintergrund.

Ebenso wenig hilfreich sind in diesem Fall die vielerorts propagierten Verhaltensmaßnahmen, Windelweckapparate mit Alarmton etc…, welche nur die Eltern wecken aber nicht das Kind. Gute Erfahrungen habe ich bei Kinder mit einer derartigen Dynamik mit folgen zwei Rubriken

  • Schlaf – Erwachen – schwierig – morgens
  • Schlaf – Tief – morgens

Das häufigste AM für diese Störung ist m.E. Calc-p: Kinder, die vorallem Salami und Knabanossi verlangen, Vigilanz/Aufmerksamkeitsprobleme nicht nur in der Schule, beim Lernen (“um 2 Sätze zu schreiben braucht sie einen ganzen Nachmittag”) sondern auch gut in der Anamnese zu beobachten – in andern Situation reduziert reagieren:

  • Gemüt – Stumpfheit – Kindern; bei

 

Außerdem: vielatmig wird in der Literatur eine verminderte ADH Produktion in der Nacht bemüht. Da es sich bei diesem Regulationseinfluß um immerhin 20% der Gesamtflüssigkeitsausscheidung handelt ist das viel. Ohne ADH würde ein dünner, wässriger Harn produziert, der schnell das Fassungsvermögen der Blase übersteigt. Allerdings ist die unkritischen Medikation mit ADH Analogenen unsinnig, da sie blutdrucksteigernd wirken (ADH = Vasopressin) und auch deutlich auf den Elektrolythaushalt Einfluss nehmen. Durfte ich doch bereits in meiner 5jährigen Praxis 2 Kinder behandeln, die nach ADH Versuchen mit einem Epileptischen Anfall auf die ADH-induzierte Hyponaträmie reagierten[5].

 

Sekundäre Enuresis

Also eine wiedereinsetzende Enuresis im Sinne einer Regression (scheinbare Rückentwicklung einer vorher bereits erworbenen Funktion oder Fähigkeit).

  • Infektkrise; das habe ich mehrfach beobachten können, daß es im Rahmen eines Entwicklungsschrittes über eine Infektkrise auch eine vorübergehende Enuresis gibt. Ist aber in der Regel nicht als pathogen zu werten, sondern als Neuorganisationskrise.
  • Im Rahmen einer emotionalen bzw. einer Verhaltensstörung. Dieser Punkt ist relativ komplex; deswegen hier nur die häufigen Situationen:
    • gestörte Familienverhältnisse (Streit, Scheidung der Eltern)
    • Ausdruck einer kindlichen Depression (eine der am häufigsten falsch verstandenen Diagnosen, depressive Kinder sind nicht primär traurig oder apathisch, sondern auf den ersten Blick eher überdreht und leiden unter Kopfschmerzen mit Konzentrationsstörungen)
    • Trennungserlebnisse, einschließlich Geburt eines Geschwisterchens[6]
    • Mißbrauch
    • überprotektive Eltern

Diese Übersicht zeigt, wie umfassend das Thema ist. Eine einfache Lösung gibt es leider nicht, zumal ja sogar mehrere Aspekte zusammenkommen können. Entsprechend der Ananmnese setze ich daher strategisch den Schwerpunkt, das ist nicht in einen Artikel zu fassen sondern die „normale Alltagsarbeit“.

Jedenfalls ist es sinnvoll nach weiteren latenten Symptomen einer Entwicklungsverzögerung zu schauen. Die Enuresis kann zwar theoretisch ein separates Phänomen sein, ist es aber eher selten. Oft ergeben sich aus dem Erforschen der

  • motorischen Entwicklung (ich liebe die „Konvulsions-Rubriken“, die ich mittlerweile als „Meta-Rubriken“ für jede neurologisch aberrante Reaktion erfolgreich verwende. V.a. wenn sich ein klarer Auslöser festmachen lässt, zB Konvulsion durch Zorn, Kummer, Ärger, Ermahnung ….. hat man einen Fall in der Tasche! Konvulsions-Rubriken waren mir auch für die Spastik ein unschätzbares Geschenk)
  • der Sprachentwicklung (Rubriken: „Sprache, leise / undeutlich / laut / Fehler ……“)
  • den Charakteristika des Spielverhaltens
  • den Merkmalen zu Beginn der Kindergartenzeit und zu Beginn der Schulzeit
  • des Konzentrationslevels und des Lernverhaltens

oft ergeben sich hier noch gute Hinweise, wie und v.a. auch aus der repertorisierenden Beobachtung des Verhaltens während der Anamnese oder der Untersuchung, inklusive des Befundes[7]. Hierfür gibt es eine Unmenge an guten Rubriken (schmollen, brüten, stiller Kummer, immer unzufrieden, diktatorisch …)[8].

Außerdem ist eine ausführliche körperliche Untersuchung notwendig um Charakteristika latenter chronischer Krankheitsdynamiken zu erfassen sowie konstitutionelle Merkmale. Ein Sil. oder Calc. Zustand ist oft schon anhand des Verhaltens bei der US und den körperlichen Merkmalen zu erkennen! Mit Haare am Rücken hat man die erste Assoziation zu Tuberkulinum zB.

 

Zum Schluss: die Rubrik Blase urinieren unwillkürlich nachts bei Kindern ist eine klinische Erfahrungsrubrik; meine derzeitigen Einträge sind:

 

 

 

 

 

 

Natürlich ist sie nicht vollständig (Tjado – ein unermüdlicher Forscher der alten Quellen – meint, er habe hart an dieser Rubrik gearbeitet) und sollte deswegen nur als bestätigendes Sy, weder zur Differenzierung noch zur Elimination verwendet werden.

Jedenfalls finden sich meistens genügend Anhaltspunkte, daß es gar nicht mehr notwendig ist, über eine “weinende Blase” zu philosophieren.

 

Achtung: dieser Artikel beruht auf der Grundlagenarbeit von meines hochbegabten Kollegen Tjado Galik, HP in Hannover zur Enuresis. Weitere interessante Notizen – „Schnippsel aus der Mailing-Liste der Homöopathie Zeitschrift“ – zu verschiedensten Themen der Homöopathie können auf meiner Homepage abgerufen werden.

 

Dr.med. Helmut B. Retzek, Vöcklabruck

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heli.retzek@ganzemedizin.at


[1] der Urin kann auch in Phasen relativer Ruhe unauffällig sein und sollte deswegen häufig kontrolliert werden, ich instruiere die Eltern selbst mehrmals pro Woche zu kontrollieren, Harnstreifen können über Apotheke oder Medizin-Handlung/Versand bezogen werden. Haben die Eltern erst mal durch die dramatische Verbesserung des Allgemeinzustandes des Kindes etwas Vertrauen gefasst und können sich von den „Transplantations- & Sterbe-“ Drohungen wohlmeinender Urologen lösen, kann ein Arzneiwechsel, eine Wiederholungsnotwendigkeit usw. recht klar schon alleine aus einer Aggravation des Gemütszustandes des Kindes abgeleitet werden. Die Eltern reduzieren dann immer von selber die anfangs täglichen Harnstreifen auf wöchentlich oder seltener. Kindliche Reflux- & Hydronephrose sind allerdings ein Thema für einen anderen Artikel.

[2] ich habe früher manchmal Sepia oder v.a. auch Phos. anstatt Silicea (fehl-) verschrieben, da bei “Spinedi-Schülern” Silicea tendenziell unterrepräsentiert wird. Erst das Studium der Geukens Seminar-Transkripte (zB Homöopathische Praxis, Jubiläumsausgabe) hat mir diese unendlich wertvolle Arznei eröffnet. Sepia war bei mir bei den Hydronephrose-Kindern am häufigsten indiziert und ist natürlich aufgrund der stark anti-sykotischen Wirkung initial praktisch immer gut wirksam. Nach einigen Monaten kommt dann allerdings das Rezidiv. Hier soll man dann auch an Nit-Ac. denken. Derartige miasmatisch tief verankerte Fälle benötigen immer mehr als eine Arznei zur Heilung, hat man einen Einstieg geschafft, laufen die Fälle recht sauber und können unter regelmässiger Urin-Selbstkontrolle der Eltern problemlos antibiotikafrei geführt werden, Fehlverschreibungen sind deutlich über persistierenden Gemütszustand wahrzunehmen – solange sie zumindestens die aktive Ebene (zB. Sykose) treffen, halten sie das Kind trotzdem infektfrei. Einziges Problem waren hier die Urologen, welche selbst objektiv vollständig unauffällige Harnbefunde (über Monate) und besten AZ zu unbedingter Antibiotika-Indikation erklärten.

[3] bei meinen eigenen 3 Kindern und Patienten konnte ich immer wieder kurzfristige Regressionen während der Phase der Aquirierung neuer Fähigkeiten beobachten.

[4] aufsteigendes retikuläres aktivierendes System

[5] Die Praxis bei Enuresis einfach ADH über Wochen zu probieren ist genauso widersinnig, wie dieses unsägliche NSR reinlöffeln über Wochen bei jeder Entzündung, Fieber, Schmerz. Mit dertigen Vorgehensweisen produzieren wir Ärzte chronisch Kranke und treiben die Patienten in die Hände der Pendler! Sorry, hier ist das falsche Forum für diese Jeierei, aber das musste jetzt einfach sein, ich erlebe das leider fast täglich und sogar von „homöopathischen Kollegen“.

[6] der ältere Erstgeborene eines Familien-Klans erlebt hier sogar bei verständnisvollen Eltern oft ein Deprivationsgefühl, da sich die gesamte Gross-Sippe oft nurmehr um das liebe Kleine kümmert. Dies besonders wenn Erstgeboren = Mädchen und dann der erwünschte Stammhalter auftaucht. Die Leitrubriken hierfür sind Gemüt – Wahnideen – Unrecht – erlitten, man hätte ihm unrecht getan und Gemüt – Eifersucht – Kinder – unter Kindern bei der ich Lachesis (als Meta-Schlange) ergänze. Das Gefühl, dass die Zuwendung, die mir zusteht jemand anderem plötzlich zugute kommt, wurde für mich zum Leitmotiv zum Verständnis der Schlangen. Auch hier hatte ich früher oft Sep. fehlverschrieben.

[7] die „FAX-Homöopathie“ und „Telefon-Homöopathie“ hab ich praktisch aufgegeben. Die objektiven Symptome aus der Beobachtung während der Anamnese (Rubriken „Gemüt – Gesten – …..“, „Gesicht – Ausdruck ….“ …..) und das Reduzieren auf 1-2 ganz prägnante Symptome im Gemütsbereich, die den vorliegenden Prozess exakt abbilden (anstatt „Totalitäts-Sammeln“) haben meine Erfolgsrate und –Verschreibungstiefe sprunghaft ansteigen lassen.

[8] Schon Toni Rohrer sagte immer zu mir „schau hin, du musst sie anschaun“, die ganze Tiefe seiner Worte hab ich erst im letzten Jahr begriffen.

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