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Symptomenlexikon – Theorie erklärt

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eminente Email zum Symptomenlexikon von Stefan Reis, dem aussergewöhnlich produktiven “Genuien” Leit-Homöopathen.

 

Hallo Georg,

ich will versuchen, die Prinzipien eines “genuinen” Arbeitens an dem von dir genannten Beispiel zu erläutern:

Am 06.01.2017 um 19:26 schrieb Georg Ivanovas:

Haben wir eine Patienten mit einem abendlichen Stechen im Hinterkopf käme folgende Rubrik in Frage

Kopf – Schmerz – Hinterkopf – abends – stechend

alum.a1,k ambr.a1,k carb-v.k hyper.k lyc.k mag-c.a1,h2 mur-ac.a1,k sep.a1,h2,k thuj.a1,k

Prima. Wenn es ein einmaliges Ereignis ist, könnte das Mittel schon drin sein. Bei einer langfristigen Erkrankung, wäre ich mit dieser Rubrik sehr zurückhaltend. Schön, wenn das Mittel, das auch das generelle Bild abdeckt, auch darin ist.

Aber wichtiger ist doch die Frage der Pathologie: was passiert denn da? Wie funktioniert der Organismus, der dieses Symptom hervorbringt? Wo sind die Schwachstelle, Fehlfunktionen? Was noch außer dem Kopfschmerz ist charakteristisch?

Die Frage nach der Pathologie ist natürlich wichtig. Es ist selbstverständlich ein Unterschied, ob ein raumfordernder Prozeß das Stechen erzeugt oder eine muskuläre Verspannung infolge Zuglufteinwirkung, ob es sich um ein akutes oder aber ein chronisches Geschehen handelt und welche Rolle das Stechen im Rahmen der Gesamtsymptomatik spielt.

Bleiben wir aber mal bei diesem Symptom, das ja womöglich individualisierend ist für einen Patienten.

Die Rubrik, die du nennst, steht so in Kent’s Repertorium. Die darin aufgeführten Arzneien sollten genau dieses Symptom so erzeugt oder geheilt haben. So weit, so gut.
(Eine erste Diskussion könnte jetzt den Wert der Heilerfahrungen oder “klinischen Symptome” – ich meine nicht die Bestätigungen – zum Thema haben; würde ich jetzt aber lieber nicht tun.)

Clemens von Bönninghausen hat darauf aufmerksam gemacht, dass für die Heilung eines Symptoms wie “abendliches Stechen im Hinterkopf” nicht nur die Mittel in Frage kommen, die exakt dieses Symptom abdecken, sondern zum Beispiel auch noch die, die ein abendliches Stechen an mehreren unterschiedlichen Stellen des Organismus hervorgerufen haben. Nach dem Motto: wenn Mittel X ein abendliches Stechen im Kreuz, im Magen, im Knie und im Ohr erzeugen kann, dann ist erstens sicher, dass es abendliches Stechen erzeugt (und heilt) und zweitens darf man den Ort extrapolieren, will sagen: X kann abendliches Stechen an jedem Ort des Körpers heilen. (Vorausgesetzt, die anderen Sy. passen auch.)
Denkt man so, kommen also für das von dir genannte Symptom nicht nur die neun Arzneien aus der Kent-Rubrik in Frage, sondern noch zahlreiche andere.

Es kann aber auch passieren, dass das eine oder andere Arzneimittel, das in der Kent-Rubrik verzeichnet ist, bei einer “genuinen” Analyse gar nicht in Betracht kommt, nämlich dann, wenn beispielsweise das “abendliche Stechen” von der Arznei nur im Rahmen dieses Hinterkopfschmerzes (und an keiner anderen Körperstelle) beobachtet wurde. In diesem Fall dürfte man daran zweifeln, ob dieses Symptom, z.B. im Rahmen eine AMP, tatsächlich vom Mittel ausgelöst wurde. Es wäre dann nur ein Artefakt. Bei diesen Einzelsymptomen können klinische Verifikationen natürlich sehr hilfreich sein, denn die sichern das Symptom als “echte Mittelwirkung”.
Hier kommt noch eine “spezielle Funktion” der Modalitäten in’s Spiel (wobei Dein Bsp.-Symptom leider eine Zeitmodaliät aufweist, an der sich das, was ich meine, nicht gut zeigen läßt): bei den “polaren” Modalitäten kann man mitunter an der gegenteiligen Modalität erkennen, ob die “Charakteristik” der Arznei vielleicht einen Widerspruch bildet. Ich stolpere jetzt mal durch dein Beispiel, um im Bild zu bleiben: eine Arznei, die das Symptom “abendliches Stechen im Hinterkopf” erzeugt hat, ansonsten aber ausnahmslos Stechen am Morgen oder vormittags oder so … wäre als Heilmittel sehr unwahrscheinlich. Wie gesagt – die Zeitmodalitäten sind (sowieso) unzuverlässig und “morgens” ist nicht das Gegenteil von “abends” … aber das Prinzip ist klar, denke ich.

Kommen wir zum Hinterkopf, als Ort des Geschehens: auch auf den Hinterkopf sollte die passende Arznei eine sichere Wirkung ausüben. So kommen also erst einmal alle “Hinterkopfmittel” in den Pool. Man kann auch schauen, ob man Mittel findet, die mehrfach (d.h.: “gesichert”) Stechen im Hinterkopf erzeugt (geheilt) haben.
Dasselbe jetzt noch mit “abendlichen Hinterkopfschmerzen” (ohne das Stechen).

Bevor wir das SL zur Verfügung hatten, haben wir diese Arbeitsschritte mit Hilfe des “Therapeutischen Taschenbuchs” und der “Systematisch-Alphabetischen Repertorien” von Bönninghausen durchgeführt. Jetzt machen wir das mit dem SL.

Kommen wir zum Ergebnis der Analyse Deines Beispiel-Symptoms:

Abendliche Hinterkopfschmerzen traten in den Prüfungen nicht oft auf; kein Arzneimittel erzeugte das so häufig, dass wir von einer sicheren Wirkung ausgehen können. Man könnte “eine Etage höher” gehen und schauen, welche Arzneien wenigstens “abendliche Kopfschmerzen” erzeugen … aber das tun sie alle. “Abendliche Kopfschmerzen” sind somit signifikante Wirkungen aller Arzneien, genau deshalb aber auch nicht “charakteristisch”.
An dieser Stelle ist als berechtigte Kritik des SL anzubringen, dass es nicht alle Prüfungen enthält. Wir arbeiten derzeit also gar nicht mit dem Material, das uns eigentlich zur Verfügung stehen könnte (wobei die Auswahl der aufzunehmenden Quellen natürlich ein Knackpunkt ist).

Zuverlässige und hinreichende Daten liefern uns hier also vorerst das “abendliche Stechen” (irgendwo, nicht notwendigerweise auch im Hinterkopf), sowie das “Stechen im Hinterkopf” (irgendwann, nicht nur abends). (Letzteres “Symptom” gäbe es so ja auch im Kentschen Repertorium; nicht aber “Stechen abends”!)
Arzneien, die diese beiden Wirkungen sicher haben, sind:

Bell., Bov., Canth., Kali.c., Kali-n., Laur., Lyc., Mag-c., Mag-m., Mur-ac., Nat-m., Nit-ac., Petr., Sep., Sil.
Diese Arzneien sind alle in der Lage, “abendliches Stechen im Hinterkopf” zu heilen, obwohl die meisten von ihnen es nicht erzeugt haben!

Sofort fällt auf, dass diese Liste mit der Kent-Rubrik nicht übereinstimmt. Ich will das an einem Beispiel erläutern:
Ambra: “Abends, mehre, sehr starke Stiche nach dem Hinterkopfe herauf.” Keine weiteren “abendlichen Stiche” in der gesamten AMP. Stechen im Hinterkopf nur ein Mal aufgetreten, daher als Arzneiwirkung unsicher.
Es gibt an dieser Stelle natürlich auch Anlass zur Kritik am SL:
Zum Beispiel fehlt Hypericum im SL komplett. Dass es in “meiner” Liste nicht auftaucht, besagt nicht, dass es dort nicht hineingehört. Von Thuja wurde die AMP von Wolf nicht aufgenommen. Mögliche Gründe dafür, dass Mittel bei einer SL-Analyse “zu Unrecht” rausfallen.
Aber es geht jetzt mehr um’s Prinzip, nicht so sehr um das Werkzeug. Denn wenn das Prinzip überzeugt, ist der nächste Schritt natürlich, das Werkzeug zu verbessern.

Ich sehe in diesem Konzept eigentlich nur Vorteile:
Man übersieht kein Arzneimittel, das in Frage kommen kann, bloß weil es das exakte Symptom nicht abdeckt.
Man verfolgt keine Arzneimittel, die vielleicht das eine oder andere Einzelsymptom abdecken, die aber von seiten ihrer “Charakteristik” bzw. allgemeinen Mittelwirkung nicht passen.
Man vermeidet damit “Symptomendeckerei”.
Nachdem man anhand der sicheren Arzneiwirkungen (Teilsymptome) einen “Pool” von möglichen Arzneien zusammengestellt hat, kommt es zur DD. Bei dieser spielt dann natürlich schon eine Rolle, welche dieser Arzneien die geklagte Symptomatik möglichst exakt abbildet. Zum wortwörtlichen Symptom kommen wir aber eben erst jetzt, zum Abschluß, um die endgültige Entscheidung zu treffen.

Anders (als bei “kentianischem” Vorgehen) schwingt hier also bei der Analyse eines jeden Symptoms die Frage mit, ob darin auch die “allgemeine und sichere Arzneiwirkung” abgebildet wird, und dies mitunter auch noch unter Berücksichtigung etwaiger Widersprüche.
Es ist dies eine Absicherung, jedenfalls aus meiner Sicht.

Eine “andere” Sichtweise geht davon aus, dass eben diese Absicherung über das klinische Bild zu erzielen ist. Man schaut also erst einmal, welche Pathologie dem Ganzen zu Grunde liegt und berücksichtigt bei einer Analyse diejenigen Arzneien, die ihre Wirksamkeit bei einer solchen Pathologie bereits erwiesen haben. Damit aber schliesst man Arzneien, zu denen solche Erfahrungen (noch) nicht vorliegen, aus der weiteren Analyse aus.

Beide Konzepte bemühen sich um “Sicherheit”, das eine um “sichere Arzneiwirkung”, das andere um sichere “Heilwirkung”, was nicht dasselbe ist.

Ob das SL das ideale Werkzeug ist, um das beschrieben “genuine” Konzept in der Praxis umzusetzen, soll hier gar nicht Thema sein. Vieles an der Kritik des SL ist ja vollkommen berechtigt. Es ist aber bislang das einzige Werkzeug, in dem man beispielsweise ein “Stechen, das schlimmer wird beim Draufdrücken” abbilden und untersuchen kann. Im “Kent” geht das nur in Verbindung mit einem Ort, und welche Nachteile das hat, hab ich ja an obigem Beispiel erläutert.

Ich hoffe nun sehr, dass ich am Beispiel Deines Hinterkopfschmerzes erläutern konnte, wie eine “genuine” Analyse (z.B. mit dem SL) aussehen kann.

Schönen Samstag allerseits
Stefan

2 Kommentare

  1. würden Sie gegenteilige Symptome also ausschließen? Beispielsweise – Phos – kann nicht auf der linken Seite schlafen Gegenteil – eben nur auf der linken Seite schlafen.

    mit freundlichen Grüßen
    Renate

    • bin Kent-Homöopath, mit Radar usw. aufgewachsen. Die starken klinischen Seiten-Bestätigungen werte ich noch, ansonsten wurde ich durch diese Info weniger Seitenspezifisch

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